Kolume | Sorry, not sorry

Kolume | Sorry, not sorry



„Er lächelt. Ein kleines, spöttisches Zucken der Mundwinkel, in das sich der Leser zu diesem Zeitpunkt der Geschichte längst verliebt hat. In seinen dunklen Augen glimmt etwas auf. Triumph. Genugtuung. Beides nur ganz flüchtig, aber lang genug, damit die Protagonistin in seinen Armen es sehr wohl bemerken kann.



Ein ungutes Gefühl beschleicht sie und ihr Herz klopft ihr bis zum Hals, ohne dass sie etwas dagegen tun kann. Eine Stimme in ihr (und mit ihr auch der Leser vor dem Buch) schreit, dass sie weglaufen sollte, doch sie tut es nicht, sondern verharrt in seinen Armen. Sie liebt ihn, vor ihm zu fliehen, das wäre doch widersinnig. Oder?



Das Lächeln auf seinen Zügen wird breiter, als er sie näher an sich zieht und die Lippen an ihr Ohr hält, um ihr etwas zuflüstern zu können.


‚Darauf warte ich schon sehr lange‘, murmelt er und rammt ihr seinen Dolch in den Bauch.“



Oh, süße Lesertränen!

Wie sehr ich das liebe, wenn ich ganz genau weiß, dass eine Szene Herzen brechen und Seelen zu Hackfleisch verwandeln wird. Diese diebische Freude, mit der ich mich immer wie ein klischeehafter Evil Overlord aus irgendeinem drittklassigen Fantasyepos fühle. Wie eine böse Hexe, die in schwarzen Roben irgendwo in einer spärlich beleuchteten Höhle vor einem Zauberkessel steht und laut „Muhahaha!“ durch das Gewölbe kichert.
So sitze ich im Moment immer wieder vor meinem Manuskript, lache, trinke Kaffee und stelle mir vor, wie eines Tages ein Leser sich meine Story zu Gemüte führt und mich am Ende abgrundtief hasst. Meine Augen leuchten dabei ein klein wenig irre, während meine beste Freundin, die ab und zu mal meine Sachen sporadisch quer liest, ihrerseits die Augen verdreht und etwas davon murmelt, dass ich doch einen an der Waffel hätte. Dabei würde ich doch immer davon reden, dass ich meine Figuren so sehr liebe, oder? Warum also habe ich so viel Spaß daran, die Leben meiner Figuren und die Herzen meiner Leser in feinkörnige Schutthaufen zu verwandeln?

An dieser Stelle lache ich ein paar Minuten etwas verrückt wie Rumpelstilzchen, woraufhin sich die Katze unterm Bett versteckt, und grinse schließlich breit.
Warum ich daran so viel Spaß habe? Weil der größte Bösewicht einer jeden Geschichte immer der Autor selbst ist. Frei nach der Regel „Überlege dir, was das Schlimmste ist, was deinen Figuren passieren könnte – und verdopple das dann!“ treiben wir unsere Lieblinge an den Rand des Wahnsinns. Und darüber hinaus.
Dass wir dementsprechend Glück haben, unseren Figuren nie zu begegnen, liegt da ein wenig in der Natur der Sache.
Ein nettes Experiment, das vor ein paar Jahren Mal in dem inzwischen von Carlsen übernommenen Autorenforum hierschreibenwir.de in Mode war, ist, ein fiktives Treffen zwischen Autor und Buchfiguren zu veröffentlichen. Die Ergebnisse waren dabei unterschiedlich humoristisch oder traurig, aber alle hatten sie eins gemeinsam: Wut.
Wut der Protagonisten, die da ihrem Schöpfer gegenüberstanden, Wut ihrer Gegenspieler, Wut jeder eigentlich noch so kleinen Nebenfigur.
Und warum auch nicht? Wie die Sims-Spieler, die den unliebsamen Ehepartner ihres Lieblingssims im Pool ertränken (wir wissen, dass wir das alle schon einmal mit unseren Sims getan haben), sind auch Autoren grausame Götter, denen ihre Figuren schutzlos ausgeliefert sind.
Aber wie bei den Sims hat auch die Grausamkeit gegenüber meinen Buchfiguren – gut eingesetzt – Spannung zur Folge.
Das letzte Mal habe ich Patrick Rothfuss zitiert, heute ist George R. R. Martin, der derzeit wohl kaum angefochtene König auf dem Thron der gebrochenen Leser- und Zuschauerherzen:
„I always like unexpected things. I always like the suspense to be real … I want my readers, I want my viewers to be afraid when my characters are in danger. I want them to be afraid to turn the next page …”
Also: Sorry, not sorry.

Euch fallen noch andere Probleme ein, die typischerweise nur Autoren
haben? Tweetet sie mir doch an @hekabeohnename oder teilt sie mir über diesen Thread im Forum mit!

7 Gedanken zu „Kolume | Sorry, not sorry

  1. Wie heißt es doch so schön? Unsere Aufgabe ist, unsere Charaktere auf einen Baum zu hetzen um sie dann mit Steinen zu bewerfen 😉 (Leider weiß ich nicht mehr, von wem das Zitat ist). In diesem Sinne: Muahahaha!

    1. Ich würde das Zitat abwandeln: Unsere Aufgabe ist es, unsere Charaktere auf einen Baum zu hetzen, um sie dann mit Steinen zu bewerfen und dabei leicht irre zu lachen! 😉 😀

  2. Ein toller Artikel! Regt sehr zum Nachdenken an und weil ich das getan habe (und fast die Kommentarfunktion hier gesprengt habe), landeten meine Gedanken jetzt einfach in meinem Blog 😉
    Danke für diese Sonntagsanregung!

    1. Erst Mal danke für den Kommentar, freut mich, dass dir der Post gefäll! Ich hab gerade deinen Post gelesen und fand's interessant, was du auf einer rein ernsten und nicht leicht humoristischen Ebene wie in der Kolumne für Gedanken aufgeschrieben hast. Denn was du schreibst, stimmt, die große Kunst beim Figurenquälen ist es, diese Dinge gezielt und stilvoll einzusetzen. 🙂
      lg
      Hekabe

  3. Der Vergleich mit den Simsfiguren ist interessant. Als ich jünger war habe ich immer aus den Figuren meiner aktuellen Schreibprojekte Simsfiguren gemacht, auch wenn ich natürlich nicht immer detailgetreu die Geschichten nachspielen konnte…

    Als kleines Mädchen habe ich das in den Büchern, die ich gelesen habe, immer gehasst, immer musste etwas schiefgehen und irgendwie läuft es nie ganz rund für den Protagonisten. Und immer diese bitteren kleinen Wermutstropfen am Ende de Geschichte. Und heute? Heute denke ich mir so etwas selber aus… wobei, man kann es mit dem "alles muss schiefgehen" auf die Spitze treiben. Hab mir neulich endlich Jurassic Park angeguckt (wegen dem neuen Film…) und muss sagen dass da mehr schiefgeht als natürlich ist 😀

    1. Wobei dieser "Das kann doch nur schiefgehen"-Gedanke als Leser/Zuschauer ja auch interessant sein kann. Ich hab Jurassic Park nie gesehen, deshalb weiß ich nicht, wie weit das da greift (oder auch nicht), aber manchmal steigert das ja gerade noch die Spannung, wenn man als Außenstehender schon die Fehler der Figur sieht, während sie sie macht und die ganze Zeit darauf hofft, dass die Lage im letzten Moment noch gerettet werden kann^^ 🙂

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