LBM-Kurzgeschichte: Von träumenden Triboken
Trotz der abgesagten Leipziger Buchmesse haben wir im Forum auch in diesem Jahr wieder einen Kurzgeschichten-Wettbewerb ausgerufen. Auch unser Special Guest Mikkel Robrahn hat an diesem Wettbewerb teilgenommen. Viel Spaß!
»Meine Mutter hatte recht, als sie sagte, dass ich einen Irren heirate und ich hätte auf sie hören sollen«, murmelte Nala Thomsen, als sie fassungslos auf das gigantische Katapult in ihrem Garten starrte.
»Ich habe alles durchgerechnet«, antwortete Marian Thomsen. »Zweimal.« Er klopfte auf das Holz wie ein Gebrauchtwagenhändler, der eine Rostkarre als Sportwagen verkaufte. »Ich werde mit 450 Kilometern pro Stunde in die Luft geschossen und bei Rückenwind«, er leckte an seinem Finger und hielt ihn in die Luft, »werde ich über das Messegelände Leipzig fliegen. Das ist der Augenblick, in dem ich meinen Fallschirm öffne.«
»Das ist ein Witz«, sagte Nala trocken.
»Nein, einfache Mathematik, mein Engel.« Ihr Mann rollte ein großes, weißes Papier aus. Ein Urwald aus Zahlen, Gleichungen und Lösungen entfaltete sich. »Siehst du?« Aber Marian erkannte schnell, dass seine Frau zwar sah, aber nicht verstand. »Egal, du kannst mir vertrauen. Sonntagabend bin ich zurück.«
»Steht in Leipzig noch so ein Katapult?«, fragte ihn seine Frau und zeigte auf die meterlange Holzkonstruktion.
»Genau genommen ist es ein Tribok«, sagte er und räusperte sich. »Nein, natürlich nicht. Wer soll das denn da hinbauen? Die sind doch alle mit Messeständen beschäftigt. Ich werde mit der Bahn zurückfahren.«
»Und warum fährst du nicht mit der Bahn hin?«
»Die Zeiten als Autor sind hart, man muss irgendwie auf sich aufmerksam machen. Der Verlag macht ja erst Werbung für dich, wenn du schon bekannt bist. Und stell dir die Überschriften vor: ‚Autor reist per Tribok an!‘. Mein Buch Von träumenden Triboken wird es sofort auf die Bestsellerlisten schaffen.«
Nala seufzte. »Dann kann ich mich ja schon mal nach einem neuen Mann umschauen.«
»Alles berechnet, mein Engel. Sorge dich nicht!« Marian setzte einen Helm und Fliegerbrille auf, schnallte sich einen Rucksack vor die Brust, den Fallschirm auf den Rücken und setzte sich in die Schlinge des Triboks. »Wenn du so nett bist und den Hebel betätigst?«
»Den hier?« Nala zeigte auf den einzigen Hebel.
»Ganz genau.«
Seine Frau ging hinüber und betätigte den Hebel. Die Maschine fing verhängnisvoll an zu rattern.
»Vielen Dank, ich bin rechtzeitig zum Auflau-«, mehr brachte Marian nicht heraus, bevor er in den Himmel geschossen wurde.
Die ersten Stunden verliefen wie geplant. Die Sonne war angenehm warm über den Wolken und Marian hatte die Zeit, noch einmal seine Notizen für die bevorstehende Lesung durchzugehen. Sicherlich war Von träumenden Triboken sein größtes und bestes Werk bisher, direkt nach Über kompetente Katapulte. Und deshalb hatte es diesen Auftritt verdient. Nachdem er sich noch mal alles durchgelesen hatte, faltete er den Zettel wieder zusammen und steckte ihn zurück in die Seitentasche seiner Jacke. Es war ein bisschen frisch hier oben, das musste er zugeben. Marian kramte in seinem Rucksack und fand ein in Butterbrotpapier eingewickeltes Brot. Da hier oben keine Bäcker waren, hatte er sich lieber etwas geschmiert. Erdnussbutter und Marmelade. Marian war für einen kurzen Moment abgelenkt und sah so nicht das Unheil auf sich zukommen. Das Unheil war stark gefiedert, schwarz und eigentlich auf der Flagge der Bundesrepublik Deutschland zu finden. In diesem Augenblick befand sich der Adler aber irgendwo im Himmel über Magdeburg, direkt auf der berechneten Flugbahn.
Marian schrie. Der Adler schrie. Sie stießen zusammen, Federn stoben auf und Marian geriet ins Trudeln.
»Du verdammter Adler«, schrie er dem überraschten Tier noch hinterher. Der Adler keifte etwas, was er nicht verstand. Na toll, das hatte er nicht einberechnet.
Marian sah auf die Uhr. Noch eine Stunde, bis er an der Leine seines Fallschirms ziehen musste. Die Zeit verging wie im Flug und mit seinem Zeigefinger riss er am Ring der Schnur. Ein Fallschirm glitt heraus, auf dem groß Von träumenden Triboken stand. Marketing hatte er im Blut.
Sicher landete er auf einer vielbefahrenen Straße. Autos hupten, jemand pöbelte ihn an. Marian sah sich um. Das hier sah nicht aus wie Leipzig. Das sah eher wie ein schlechter Abklatsch von New York aus.
Ein junger Mann im schicken Anzug und mit Gelfrisur lief auf dem Gehweg an ihm vorbei. »Entschuldigen Sie«, sagte Marian, »wo befinde ich mich?«
»Frankfurt«, sagte der Typ, der nach einer steilen Karriere in der Bank und bei der Jungen Union aussah.
»Frankfurt?«, stammelte Marian. »Das bedeutet ja, dass ich sechs Monate zu früh bin. Ich wollte auf die Leipziger Buchmesse, nicht die Frankfurter, du verdammter Adler!« Drohend schwang er seine Faust in den Himmel. Alles hatte er berechnet, bloß nicht den Zusammenstoß mit einem Federvieh und so würde keiner von Von träumenden Triboken erfahren.
»Entschuldigen Sie, ich habe von Ihrer misslichen Lage mitbekommen«, sagte eine Stimme hinter ihm. Marian drehte sich um und sah in das Gesicht eines Mannes mit Schnurrbart, Monokel und Zylinder. Er trug einen altertümlichen Anzug und sah aus, als würde er gleich mit Sherlock Holmes (dem alten, nicht dem neuen) ermitteln gehen. »Archibald van de Hyden ist mein Name. Ich bin Autor des Buches Teleportation in Zeiten von Telekommunikation und wollte mich gleich mit Hilfe meiner Apparatur«, er zeigte auf eine dünne Scheibe auf dem Boden, aus der zahlreiche Drähte kamen, die in einem Computer verschwanden, »nach Leipzig begeben. Möchten Sie mich begleiten? Die Reise dauert nur ein paar Sekunden.«
Über den Autor
Mikkel Robrahn wurde 1991 im Norden von Deutschland geboren. Dort verbrachte er auch seine ersten Jahre mit Handball, Videospielen und Büchern. Anschließend wurde das eine oder andere Studium angefangen und wieder abgebrochen, bevor er in der Gaming-Branche landete. Seit 2015 arbeitet er für das Team PietSmiet. Immer an seiner Seite: Mops Oskar. Sein erstes Buch hat er im Februar 2019 bei Community Editions veröffentlicht. Im Herbst 2020 folgt mit Hidden Worlds – Der Kompass im Nebel ein Urban Fantasy-Roman im Fischer-Verlag.
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Instagram: @Mikkelmachts