#Schreibnachtadventskalender – Was auf der Strecke bleibt …
Wir öffnen Türchen Nr. 19. Weihnachten rückt in greifbare Nähe. Habt ihr schon alle Weihnachtsgeschenke gekauft? Aber achtet darauf, dass das Wesentliche im ganzen Weihnachtsstress nicht zu kurz kommt.
Die heutige Geschichte kommt wieder von Jenny. Diese kennt ihr schon von Türchen Nr. 9.
Was auf der Strecke bleibt …
Die Innenstadt eines größeren Ortes. Menschen drängen sich überall, stehen dicht an dicht. Sie rauschen durch die Geschäfte, immer auf der Suche nach einem Last-Minute-Weihnachtsgeschenk oder nach dem allerbilligsten Schnäppchen. Sie sind mit Einkaufstüten und Geschenke vollgepackt, fast als wären sie selbst menschliche Weihnachtsbäume. Doch auf ihre Umgebung achten sie nicht, nicht auf die tollen Weihnachtsdüfte, die die winterliche Luft erfüllen, nicht auf den Lichterglanz, der für sie als Kinder doch so magisch gewirkt hatte, nicht auf ihre Mitmenschen, für die sie diese unglaubliche Shopping-To(rt)ur doch eigentlich unternehmen. Ist es da verwunderlich, dass so viele von ihnen über den armen alten Mann stolpern, dem Obdachlosen, der am Boden sitzt und die Hand aufhält?
Wir nennen es das Fest der Liebe – doch wo ist die abgeblieben?
Eine Villa in einem Reichenviertel vor den Toren Stadt. Die junge, schöne und vierte Ehefrau irgendeines Industriemagnaten bereitet das Weihnachtsessen für die Familie ihres Mannes vor. Alles muss perfekt sein, denn ihre Stiefkinder, die Kinder ihres Mannes aus seinen ersten Ehen, und ihre Schwiegermutter sind eingeladen. Die junge Ehefrau ist nervös. Weder die Stiefkinder, noch die extrem pingelige, kontrollsüchtige und herrische Schwiegermutter können sie wirklich leiden, nehmen sie nicht wirklich ernst. Darum dürfen heute Abend nur die erlesensten Speisen auf dem allerbesten Porzellan serviert werden. Das Haus ist absolut blitzblank geputzt, nirgends ist auch nur ein Staubkörnchen zu finden. Die junge Hausherrin selbst hat die letzten drei Tage gefastet, damit sie in ihr neues Designerkleid passt, war stundenlang beim Friseur um sich die Haare hochstecken zu lassen und trägt fünf Schichten Make-Up, das trotzdem dezent wirken soll. Sie hat alles getan, was in ihrer Macht stand, um einen möglichst guten Eindruck bei ihrer neuen Familie zu hinterlassen und hofft, dass es ein harmonisches Fest wird. Doch sie weiß auch, dass die Schwiegermutter immer etwas finden wird, dass sie kritisieren kann und dass ihr Mann sie nicht verteidigen wird. Bei dem Gedanken zieht sich der Magen der jungen Frau schmerzhaft zusammen. Sie öffnet daher eine jahrzehntealte Flasche exzellenten Weines, gießt sich ein großes Glas ein und leert es in einem Zug. Ein zweites Glas folgt dem ersten auf dem Fuße.
Wir behaupten, es sei das Fest der Familie – doch sind uns diejenigen mit denen wir feiern wirklich lieb und teuer?
Das Wohnzimmer einer Familie in Mitteleuropa. Ein Junge sitzt auf dem Sofa, schaut Nachrichten, die er nur halb versteht. Bilder von ertrunken Flüchtlingskindern flimmern über den Bildschirm und den Jungen beschleicht ein schlechtes Gefühl, als er sie sieht. Ein unfassbar trauriges Gefühl. Doch dann erklingt von der Tür her ein kleines Glöckchen. Der Junge weiß, es ist nun so weit. Hastig rutscht er vom Sofa und schaltet den Fernseher mit den seltsamen Nachrichten und dem komischen Gefühl ab. Er freut sich auf die Bescherung. Was er wohl bekommen wird? Ein Skateboard, oder eine neue Spielekonsole vielleicht?
Wir wissen, es ist das Fest des Gebens – doch warum ignorieren wir die, die nichts haben?
Irgendwo unter einer Brücke. Ein paar Obdachlose, alte junge, kranke, gesunde, einheimische und zugereiste, haben sich um ein wärmendes Feuer gescharrt. Trotz der beißenden Kälte dieser Weihnachtsnacht ist die Stimmung unter ihnen fröhlich, ausgelassen und auch andächtig. Früher an diesem Tag waren sie bei der örtlichen Tafel und in den Obdachlosenheimen und nun teilen sie die Nahrungsmittel, die sie dort ergattern oder mit erbetteltem Geld selbst kaufen konnten und den Alkohol, der sie von innen wärmen soll, brüderlich unter einander auf. Es ist nicht viel, doch für ihre Verhältnisse ist es ein Festschmaus und ihre Mägen werden sie in dieser Nacht einmal nicht wachhalten. Nachdem alles mehr oder weniger Essbare verzehrt worden ist, beginnen sie sich gegenseitig Geschichten und Witze zu erzählen. Lautes Gelächter schallt durch die Nacht und ist noch meilenweit zu hören. Je weiter der Abend fortschreitet, umso stiller wird es jedoch, weil ein Obdachloser nach dem anderen sich mit vollem Bauch und fröhlichem Gemüt schlafen legt. Sie liegen alle dicht beieinander, um sich gegenseitig wärmen und schützen zu können in dieser frostigen Nacht und sind dankbar, dass sie heute Nacht zusammen sind.
Weihnachten ist das Fest der Gemeinschaft – doch das vergessen wir zu oft!