Der Protagonist als MacGuffin in der eigenen Geschichte

Der Protagonist als MacGuffin in der eigenen Geschichte

Wichtige Gegenstände oder Personen, die überhaupt erst die Handlung ins Rollen bringen und immer wieder für spannende Momente sorgen: Jeder kennt sie, ob es der Heilige Gral ist, nach dem aus unterschiedlichen Gründen gesucht, ein Koffer, hinter dem fortlaufend hinterhergejagt wird oder geheime Informationen, die jeder für seine eigenen Zwecke nutzen will – sie treiben die Handlung voran und bringen Spannung in die Story. Aber haben wir uns über diese kleinen Gegenstände, die für unsere Geschichte so wichtig sein können, schon einmal Gedanken gemacht? Kann man die Eigenschaften dieser MacGuffins noch an anderer Stelle nutzen und so einen Protagonisten erschaffen, der per Definition eigentlich keiner ist, trotzdem aber entscheidend für die Handlung?
Was ist ein „MacGuffin“?

Ein MacGuffin ist ein von Alfred Hitchcock geprägter Begriff, der einen Gegenstand oder eine Person beschreibt, die mehr oder weniger beliebt, jedoch entscheidend für den Fortlauf und das Vorantreiben der Geschichte von Bedeutung ist. Dabei ist er selbst weniger von Nutzen, soll jedoch die Spannung im Verlauf der Geschichte aufrechterhalten.

„Das ist eine Finte, ein Trick, ein Dreh, wir nennen das gimmick“, sagt Hitchcock über den MacGuffin.

Der MacGuffin ist für die fortlaufende Handlung und die darin interagierenden Figuren von entscheidender Bedeutung. Für den Erzähler an sich spielt er jedoch keine Rolle.
Typische „MacGuffins“ sind beispielsweise geheime Informationen auf einem USB-Stick und Beute aus einem Raub, verwahrt in einer Tasche, die mit der Handlung der Geschichte eigentlich nichts zu tun haben, jedoch vorantreiben können. Dabei ist es unwichtig, was genau auf dem Stick oder in der Tasche ist. Vielmehr ist entscheidend, dass die Gegenspieler den jeweiligen Gegenstand haben wollen und sich daraus eine Handlung, ein „Kampf“ um den jeweiligen Gegenstand ergibt.

Der Protagonist als MacGuffin

Einen MacGuffin in seine Geschichte einzubauen, scheint nicht schwer – wenn er ein Gegenstand ist oder nur ein Charakter, der an wenigsten Stellen der Story eine Rolle spielt. Aufgrund der Tatsache, dass ein MacGuffin keinen umfangreichen Hintergrund hat, teilweise im Netz als „Nichts“ beschrieben wird und sich im Laufe der Geschichte nicht weiterentwickelt oder eine Wendung durchlebt, erscheint es weitaus schwieriger, einen MacGuffin als Protagonisten einzubauen. 
Man sollte sich dabei immer bewusst sein, dass ein MacGuffin zwar Merkmale besitzt, die für den Leser aber nicht erläutert werden müssen:
  • Oft ist er eine stereotypische Gestalt, wie ein brutaler Killer, ein nur auf sein Ziel gerichteter Rächer, ein grimmiger Polizist usw. 
  • Meist vollführt er identische Handlungen, geht immer nach demselben Schema vor. (Der brutale Killer geht immer auf dieselbe Weise vor, tötet wegen Geld oder aus Spaß und erledigt seine Arbeit immer durch einen gezielten Kopfschuss.) 
  • Um ihn darzustellen, benötigt er keine Vergangenheitsgeschichte. Diese kann mitunter in einem Satz erzählt werden. 
  • Ein MacGuffin entwickelt sich nicht weiter oder durchläuft in der Geschichte eine Veränderung. Er lernt nicht aus seinen Taten oder hinterfragt sie. 
  • Dabei müssen seine Handlungen nicht nachvollziehbar oder verständlich sein. Er kann theoretisch machen, was er will.
Aufgrund dieser Merkmale, die dem Leser nicht erklärt werden müssen, sondern sich einfach aus der Handlung und deren Fortgang ergeben, muss man wiederum bei den Gegenspielern des Protagonisten umso genauer sein.
Die nicht zur Sprache gebrachte Vergangenheit, das stereotypische Verhalten und die Nicht-Entwicklung des MacGuffin-Protagonisten spielen wiederum bei seinen Antagonisten eine entscheidende Rolle. Normalerweise werden Handlung, Plot, einzelne Gegebenheiten, Vergangenheiten, Erlebnisse, Erfahrungen um den Protagonisten herumgebaut. Wenn man eine Geschichte schreibt, in der der Protagonist jedoch ein MacGuffin ist, muss die Geschichte um dessen Antagonisten erbaut werden. Sie müssen eine Vergangenheit haben und diese muss der Leser erfahren. Sie müssen nachvollziehbar handeln und sich während der Story entwickeln und an ihren Erlebnissen wachsen. Es muss klar werden, aus welcher Motivation heraus sie handeln.
Die Geschichte der MacGuffin-Protagonisten ist somit eigentlich die Geschichte seiner Feinde, der Antagonisten, der Gegenspieler und deren Handlungen und Beweggründe.

Wirkung

MacGuffins finden vor allem häufig Anwendung in Thrillern und Krimis. Jedoch sollte man sich als Autor genau überlegen, ob man einen Protagonisten als MacGuffin gestaltet. Leser wollen von Natur aus alles erfahren und die Hintergründe wissen. Sie wollen sich mit den Figuren identifizieren, sie verstehen oder durchschauen. Doch gerade dies werden sie bei einem MacGuffin als Protagonisten nicht, denn sonst ist er kein MacGuffin mehr.
Trotzdem kann es für Leser, die eventuell auf eine Vergangenheit, Entwicklung und Geheimnisse des Protagonisten verzichten können, eine Bereicherung sein, wenn die Geschichte einen MacGuffin als Protagonisten hat. Und das ist genau dann der Fall, wenn die Handlungen und die Geschehnisse, die der MacGuffin auslöst, die Story so spannend, interessant und aufregend macht, dass es dem Leser egal ist, wer hinter dem MacGuffin steckt und was seine Beweggründe sind.

Geschmackssache

Wie letztendlich alles, ist es eine Geschmackssache, ob man sich einer solchen Herausforderung stellen will und dabei vielleicht auf Leser stößt, denen ein MacGuffin als Protagonist nicht gefällt.
Wenn man sich dazu entscheidet, eine Story mit einem MacGuffin-Protagonisten zu schreiben, bedeutet dies jedoch keinesfalls, dass für ihn keine Recherche notwendig ist, nur weil die Leser ja eh nicht erfahren werden, wieso er so handelt, woher er kommt und wohin er will. Der (MacGuffin-)Protagonist muss genauso gut wie alle anderen vom Autor gekannt werden. Er muss wissen, wieso er so handelt, er muss eine Vergangenheit für den MacGuffin schaffen und immer seine Motivation im Hinterkopf haben. Genauso muss sein Handeln insoweit nachvollziehbar sein, dass er glaubwürdig ist. Züchtet der MacGuffin beispielsweise eine neue Pflanzenart in seinem Labor, um ein neues Gift zu entwickeln, müsste er Kenntnisse in der Biologie, speziell über Pflanzen haben.
All dies muss der Leser nicht wissen, aber wenn er merkt, dass der MacGuffin einen Fliegenpilz nicht einmal von einem Pfifferling unterscheiden kann, sollte nochmals recherchiert werden. 

Diskussion: Wer hat bereits eine Geschichte mit einem MacGuffin geschrieben? Wer ist jetzt auf den Geschmack gekommen, eine Story mit einem MacGuffin als Protagonisten zu schreiben?

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