Eine Frage, die sich jeder Autor, der in Eigenregie sein Buch auf den Markt bringen möchte, stellt, ist:
Wie viel investiere ich in das Lektorat? Das ein Manuskript vor Veröffentlichung noch einmal genauestens unter die Lupe genommen werden muss, steht für mich nicht zur Debatte. Wenn ich meinen Leser das bestmöglichste Erlebnis und schöne Stunden mit meinem Buch schenken möchte, muss ein professionelles Auge über die Geschichte schauen. Aber bei vielen Aspekten des Selfpublishings spielt das
Geld hier keine unwichtige Rolle. Der
Verband der freien Lektorinnen und Lektoren gibt in seiner
Broschüre eine Empfehlung von
5,30 – 8,90 Euro pro Normseite. Wenn ich da an mein aktuelles Projekt denke, das irgendwann einmal um die 450 Seiten messen soll, würde mich das Lektorat – wenn ich mit dem niedrigsten Preis rechne –
2.385,00 Euro kosten. Das ist eine Summe! Trotzdem können wir als Autorinnen und Autoren schon im Voraus eine Menge tun, um dem zukünftigen Lektor die bestmögliche Version unseres Manuskripts zur Verfügung stellen zu können… und so vielleicht Geld aufsparen für eine Lesereise – oder ein neues Notizbuch.
Eine Träne im Auge
Ein Autor steckt monatelang sein ganzes Herzblut und seine Leidenschaft in sein Projekt, feilt an den Charakteren, am Plot, an seinem Stil, weint, kämpft, schwitzt und zittert mit seinen Lieblingen im Kampf gegen das Böse, um das erlösende Ende unter sein Manuskript zu setzen. Ein Autor erschafft, eine Lektorin zerlegt. Sie ist gewisserweise die Anwältin des Lesers, die für den Autor reflektiert, ob das, was er beim Schreiben beabsichtigt hat, auch beim Leser ankommt. Mit so viel Nüchternheit und Objektivität wollte unser Autor seinem Werk nie begegnen, aber um seinen Text selbst zu lektorieren, muss er vom Autor zum Lektor werden, der eigene Text muss ihm fremd werden. Es folgen ein paar Wege und Möglichkeiten, wie man das bewerkstelligen kann:
- Das Manuskript weglegen. In der Zwischenzeit kann man damit beginnen, ein neues zu planen und zu schreiben. Eine alte Idee wieder aufgreifen und neue bearbeiten. Wichtig ist, so viel zeitlichen Abstand zwischen sich, die Charaktere und die Atmosphäre, die Gefühle des Manuskripts zu bringen, dass sie einem nicht mehr so vertraut sind, wie noch direkt beim Schreiben.
- Das Medium wechseln. Viele nutzen einen Laptop zum Schreiben. Für das Lektorat ist es ratsam, das Manuskript auszudrucken, auf eine gut lesbare Schriftart zu wechseln und dabei einen breiten Rand für Korrekturen und Bemerkungen zu lassen.
- Mehr Abstand: Alles, das einen weiter von seinem Manuskript entfernt, ist gut. Den Arbeitsplatz wechseln, Kaffee trinken statt Tee. Den Text laut lesen und aufnehmen, um Stellen zu überarbeiten, die nicht harmonisch klingen. Das Manuskript auf dem E-Reader oder dem Smartphone lesen …
Erster Check: Die Struktur
Spannung ist wohl DAS zentrale Element eines Romans. Tiefgründige Figuren, ein schlüssiger Plot, ein farbiges Setting können noch so gut ausgearbeitet sein, wenn der Leser sich langweilt, langweilt er sich.
Daher: Steigt die Spannung kontinuierlich bis zum Höhepunkt? Wir sie von vielen kleineren Kurven gestürzt? Diese
Sturzbögen der Spannung orientieren sich in der Regel an den Kapitelgrenzen: Entweder hat jedes Kapitel seinen eigenen abgeschlossenen Spannungsbogen, oder der Spannungsbogen reiß am Ende des Kapitels mit dem Höhepunkt ab (mit einem klassischen
„Cliffhanger“) und wird im folgenden Kapitel fortgesetzt. Das eine verschafft dem Leser eine
Atempause, das andere animiert ihn zum Weiterlesen. Entscheidend ist auch, dass der Bogen keine
„Durchhänger“ hat und nach dem Höhepunkt steil genug abfällt.
Ebenso wie mit der Spannung kann eine Geschichte auch mit Figuren ins Wasser fallen. Nicht selten bemängele ich als Leser Charaktere, die nicht schlüssig handeln oder so viele Launen haben, dass ich aufgehört habe zu zählen. Daher: Verhalten sich alle Figuren immer gemäß ihres Charakters? Und auch so wie es die Bedingungen ihrer Umwelt, ihrem Gesundheitszustand, ihren Fähigkeiten etc. entspricht? Verlaufen Entwicklungen nachvollziehbar und in angemessener Zeit? Fällt es den Figuren angemessen schwer, ein Hindernis zu überwinden? Die zwei wohl häufigsten Fehler: Figuren reagieren nicht angemessen und wechseln ihre Stimmungen zu schnell.
Zu Beginn der Geschichte geht der Autor mit dem Leser eine Verbindung ein, indem sie ihm einen bestimmten Erzähler an die Hand geben. Diese Vereinbarung muss eingehalten werden. Immer. Ohne Ausnahme. Ohne Frage darf man von den ausgetretenen Pfaden abweichen und Perspektiven wechseln, solange sie kontrolliert eingesetzt sind und kenntlich gemacht werden. Daher: Hältst du die gewählte Perspektive konsequent durch? Vorsicht ist auch geboten, wenn man beim Schreiben – eher unbewusst – in den auktorialen Erzähler driftet und Informationsblöcke einschiebt, um bestimmte Hintergründe zu beleuchten. Hier gilt, wo immer im Manuskript Informationen auftauchen, die nicht von einer der handelnden Figuren eingebracht werden, den Rotstift ansetzen.
Jetzt steht alles auf dem Prüfstand: Dauert es wirklich sieben Stunden mit dem Auto nach Berlin? Welche Figuren beim Schach können alle Felder überqueren? Kann ein Hacker wirklich mit einer Webcam in die Wohnzimmer anderer Leute schauen? Kann man einen Marathon in Rüstung laufen? Oft stimmt das Timing nicht. Hat sich meine Figur gerade noch beim Rathaus unterhalten, ist sie nun schon am anderen Ende der Stadt. Kerzen brennen in Minuten nieder. Der Kaffee wird bezahlt, obwohl er gar nicht bestellt wurde. Daher: Beim Lektorat gilt es, auf solche Feinheiten zu achten, Fakten nachträglich zu recherchieren und einen genauen Blick auf den zeitlichen Ablauf zu werfen.
Werden alle Geschichten zu Ende erzählt, zumindest die, die im Rahmen des Manuskripts ein Ende finden sollen? Einen Faden aus einer Geschichte hinaus zu führen, um bei einer anderen wieder daran anzuknüpfen, ist vollkommen in Ordnung, nur muss es bewusst geschehen. Erhalten alle Figuren genügend Aufmerksamkeit? Als Leser finde ich es immer schade, dass einige Nebenfiguren zu Anfang einer Geschichte sehr präsent sind, um dann nach 150 Seiten überhaupt nicht mehr aufzutauchen. Daher: Steckt in der einen oder anderen Nebenfigur vielleicht das Potenzial zu mehr?
Zweiter Check: Stil und Sprache
Der zweite Durchgang des Lektorats ähnelt im Grunde dem Line Editing, dem Teil der Manuskriptüberarbeitung, in dem der Fokus verstärkt auf der Sprache des Textes, Dialoge und den Beschreibungen gelegt wird. Im Lektorat geht es darum, Füllwörter, Vergleiche, Wiederholungen, Phrasen, Schachtelsätze und „Adjektivitis“ auszumerzen. Daher: Wer im Line Editing gute Arbeit geleistet hat, hat hier im Lektorat weniger Arbeit.
Dritter Check: Rechtschreibung
Die sollte jeder Autor und jede Autorin beherrschen, schließlich ist es unsere Berufung mit der Sprache zu arbeiten und zu spielen. Ein Korrektorat ist mühsam und zeitaufwendig, aber unverzichtbar. Eine Vielzahl von Rechtschreib- und Tippfehlern stört nicht nur den Lesefluss, sondern fällt kritischen Lesern sofort ins Auge. Eine Rechtschreibprüfung kann hier eine echte Hilfe sein. Für viele Autoren ist die Textverarbeitung „Papyrus“ unverzichtbar.
Geschafft! Nach drei Durchgängen hat wahrscheinlich jeder die Nase voll von seinem Manuskript, aber das Ergebnis kann sich sehen lassen. Wenn man die erste Fassung des Manuskripts mit der aktuellen vergleicht, hat sich die Mühe wahrlich gelohnt.
Tipp: Speichere die verschiedenen Bearbeitungsphasen deines Manuskripts zwischen. So geht kein Wort, keine Formulierung verloren und man kann bei Bedarf immer wieder einen Schritt zurück gehen. Und sollte es mal eine technische Störung geben, ist nicht alle Arbeit verloren.