Kolumne | Die Schriftsteller-Olympiade
Es ist Sonntagmorgen, 8.00 Uhr, ich bin gerade aufgestanden, habe gerade den Backofen für mein Frühstück angeworfen und scrolle mich nebenbei zum ersten Mal für diesen Tag durch meine Social Media-Kanäle. Eigentlich ist es wie an jedem anderen Tag auch. Ich bin entspannt, der Kaffee läuft gerade durch die Maschine, später werde ich wohl noch ein bisschen was für die Uni tun müssen, aber das ist auch nicht so der Rede wert. Ja, im Grunde habe ich einen freien Tag vor mir.
Im Netz dagegen scheint es vor Betriebsamkeit schon zu brummen.Ich schenke mir einen Kaffee ein und muss ein wenig grinsen. Na ja, genau genommen ist es eben doch nicht ein Sonntag wie jeder andere. Es ist der 1. November. Es ist NaNoWriMo.
Ich weiß nicht, wie es anderen damit geht, aber ich liebe diese Stimmung im schreibenden Teil meiner Netzkontakte im November. Ich liebe diese sprühende Betriebsamkeit, die geballte vom Stress getriebene Inspiration, die sich in Tweets, Statusposts mit dem aktuellen Wordcount oder einfach nur motivierenden Worten an Autorenkollegen Luft macht. Ich liebe dieses Gefühl, mitten in einem Bienenstock zu sitzen, während rundherum hektische Arbeiterinnen Wort um Wort ihre Manuskripte basteln. Dieser Moment, wenn normalerweise sehr umgängliche Schreiberlinge zu leicht durchgeknallten Schreibmonstern werden, die einen Großteil ihrer Kommunikation mit der Außenwelt abbrechen, Körperhygiene und ausgewogene Ernährung hinten anstellen und für einen Monat in dieser seltsamen Mischung aus Freude, Inspiration, Adrenalin und Stress ein Manuskript zu Papier bringen. Dieser Zustand, wenn in diversen „Supermärkten um die Ecke“ der Verkauf von Süßigkeiten, Tiefkühlgerichten, Kaffeepulver und Tee punktuell auf mysteriöse Weise in die Höhe schnellt, Mama eine Vermisstenmeldung aufgibt, die Erbtante am Telefon vergrault wird, weil sie den Tageswordcount gefährdet, und die eigenen Freunde sich anfangen zu fragen, ob man nicht doch in eine andere Stadt gezogen ist.
Dieses Jahr bin ich nicht unter den Wahnsinnigen, die sich in 30 Tagen durch 50.000 Wörter tippen, sondern spiele aus Zeitgründen nur die Beobachterin, aber die Metamorphose vieler Autoren – und wenn es nur auf ihren Social-Media-Seiten ist – ist trotzdem faszinierend.
In jeder Pause wird der aktuelle Wordcount per Tweet allen anderen mitgeteilt, es werden Wordwars ohne Ende veranstaltet und wer für heute fertig ist, quatscht vielleicht entspannt in einem Chat über den aktuellen Stand. Vergesst Buchpreise, Anthologie-Wettbewerbe oder die SPIEGEL-Bestsellerliste. Vergesst alles, das euch zuerst zu einem Wettbewerb unter Schriftstellern einfallen würde. Die wahre Olympiade der (Roman-)Autoren ist der NaNoWriMo.
Zu keiner Zeit sonst machen sich weltweit Autoren so viel Druck, einen bestimmten Wert im Bezug auf ihr Werk zu erreichen, zu keiner Zeit sonst sprinten Schreiberlinge wie vom Teufel (aka ihrem Tagesziel) gejagt so durch die Zeilen, während sie sich gleichzeitig miteinander vernetzen, aneinander messen und gegeneinander in Wordwars antreten. Zu keiner Zeit sonst zeigt sich so geballt, dass Schreiben etwas ist, das man oft allein tut, aber auf keinen Fall eine einsame Tätigkeit. Denn schließlich ist es auch die Community des NaNos, aus der man unglaublich viel ziehen kann. Oder warum sonst muss es der November sein? Warum sonst veranstalte ich nicht einfach meinen privaten WriMo in den Semesterferien?
Wenn ihr das hier lesen könnt, dann geht der NaNo schon in den Endspurt. Die ersten dürften jetzt fertig werden oder es sogar schon sein, während ein guter Teil der anderen sich fragt, ob sie sich nicht doch übernommen haben. Deshalb an dieser Stelle noch eins: Ihr schafft das. Go, you should be writing right now! 😉
Huch, neue Grafik? Und ein etwas anderer Titel der Kolumne? Ganz genau! Denn ab jetzt haben wir im Schreibnacht-Magazin sogar eine Doppelkolumne! Jeweils alle zwei Monate könnt ihr entweder ein bisschen Autorengejammer von mir oder etwas Branchentalk von Patricia lesen. Im Dezember geht Patricias erster Post online, also: Stay tuned!
Und psst! Die „You should be writing“-Grafik und andere Motivationsgrafiken könnt ihr übrigens auch als Teil der NaNo-Motivation in der Gruppe des Schreibnacht-Magazins auf Facebook finden. Auch in den Formaten als Desktop- oder Smartphone-Hintergrund. Just sayin‘.