Kolumne | Mord, Totschlag und andere seltsame Fragen

Kolumne | Mord, Totschlag und andere seltsame Fragen

„Okay, Folgendes: Ich brauche deinen Rat als Sanitäterin. Wenn jemand einen glatten Schuss durch die Schulter abbekommt und kaum oder keine medizinische Ausrüstung vorhanden ist, wie wahrscheinlich ist es, dass dieser jemand überlebt bzw. wie würde man/du den wohl behandeln?“

Ich tippe die Nachricht in das kleine Chatfenster zu Ende und habe gerade auf „Senden“ gedrückt, als mir bewusst wird, wie seltsam diese Nachricht klingen dürfte. Zwar kennt mich die Freundin, die ich da gerade um Rat gebeten habe, schon lange und recht gut, was bedeutet, dass sie weiß, dass ich manchmal etwas schräg sein kann, aber wer weiß schon, wie das jetzt wirkt?

Was, wenn sie mich jetzt für einen Serienkiller hält? Schließlich hatten wir schon eine Weile nicht mehr so richtig engen Kontakt, das hier ist die erste Nachricht, die ich ihr seit Monaten schreibe, und mich beschleicht der Gedanke, dass so eine Frage vielleicht nicht der perfekte Ansatz für eine Wiederaufnahme unserer Freundschaft sein könnte.
Ich vertraue dem unguten Gefühl und schiebe also, nach ein paar Minuten des verunsicherten Starrens auf den Bildschirm vor mir, noch ein „Und Nein, ich habe niemanden angeschossen, sondern recherchiere nur für ein Buch“ hinterher, mit dem ich mich gleich ein wenig besser fühle.
Immerhin ist das nicht die erste Situation dieser Art. Genau genommen habe ich in den letzten Jahren meine Freunde schon oft mit meinen Recherche-Fragen verstört. Sag mal, was für Arten von Pflanzengiften wirken eigentlich besonders schnell? Was für Pfeile sollte man denn eigentlich verwenden, wenn man auf Menschen schießen will? Du, wie behandelt man eigentlich die und die Krankheit, wenn man keine Antibiotika zur Hand hat? Stirbt der Patient dann sofort? Und wenn ja, wie schnell? Oder: Du hast doch mal Kampfsport betrieben, nicht? Kannst du mir vielleicht sagen, wie ich jemanden am schnellsten K.o. haue, auch wenn er größer als ich ist?
Gut, inzwischen sind meine Freunde in der Hinsicht auch abgehärtet. Besonders diejenigen, die ein bisschen medizinisches Wissen oder Kontakte zu solchen Leuten haben, wundern sich glaube ich schon eine Weile nicht mehr über meine Fragen.
Eigentlich.
Das Problem an der alten Geschichte mit der Buch-Recherche ist ja auch, dass Google die Sache selten besser macht. Es ist gerade so, als würde meine Umgebung von meinen Suchanfragen magisch angezogen werden.
Kaum habe ich „Schusswunde Schulter überleben“ oder „Blut entfernen Teppich“ in die so vertraute Eingabezeile getippt und das erste Ergebnis angeklickt, da rennt auch schon die halbe Welt herein und will irgendetwas. Meine Mutter, die wissen will, was wir denn heute essen wollen, meine Schwester, die irgendeine Frage hat, meine Mitbewohnerin, die mir noch wie vereinbart ihren Anteil an den Internetkosten diesen Monat geben will.
Und dann kommt er, dieser gruselig-seltsame Moment, wenn ihr Blick eigentlich nur flüchtig über meinen Bildschirm gleitet, hängen bleibt, die Augen sich weiten und sie für einen kurzen Moment inne halten und zwischen mir und dem Display hin und her sehen. Verunsichert, irritiert, manchmal ähnlich verstört wie die Menschen, denen ich sonst meine Fragen direkt stelle.
„Warum guckst du nach, wie du Blutspuren beseitigst?“, wechseln sie dann meistens recht abrupt und vorsichtig das Thema, während sie schon langsam rücklings aus dem Raum zu wandern versuchen.
„Ich… äh… recherchiere…“
Jede weitere Antwort erübrigt sich, denn da haben sie schon die Flucht ergriffen.
Übrigens: Ein paar Stunden später hatte ich eine entspannte Antwort von meiner Freundin. Sie hat sogar noch weiter recherchiert und einen Profi, den sie kennt, gefragt. Die Chancen, dass mein Protagonist überlebt, sind gering, aber gegeben.
Mal sehen, was aus seinem Leben jetzt wird.

4 Gedanken zu „Kolumne | Mord, Totschlag und andere seltsame Fragen

  1. Erinnert mich daran, dass ich mal nach Pistolen für eine Dystopie (die im nachhinein betrachtet ziemlich schlecht war) recherchiert habe und da auch ganz scheu war und mich in mein Zimmer verkrochen habe, weil ich nicht wollte, dass das irgendjemand mitbekommt. Jap, kenn ich 😀

  2. Manche Autoren kennen sich bestens in verschiedenen seltsamen Dingen aus. Unter anderem auch in Schusswaffen, Drogen usw wenn es sein muss.
    Ich hatte auch damals eine ehem. Schulfreundin gefragt, die direkt als Chirurgieassistentin arbeitet. Bei mir war es eine Schussverletzung im Bein. Ich glaub, sie hat auch gedacht, ich hätte jemanden angeschossen.
    "Du musst betreffende Person ins KH bringen", hatte sie mir daraufhin geschrieben. Kam glaub ich nicht gut an.

  3. Ich bin dazu übergegangen, merkwürdige Dinge immer in einem privaten Fenster zu googlen. Falls mal irgendwer an meinen Lappi gehen sollte, sieht er oder sie wenigstens nicht, was ich so google… 😀

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