Ich oder Sie? Er oder ich? – Über die Wahl der Erzählperspektive

Ich oder Sie? Er oder ich? – Über die Wahl der Erzählperspektive


Die Erzählperspektive ist ein Thema,
das meistens nicht großartig erörtert wird. Während man in
deutschen Klassikern in der Schule noch herausfinden musste, um
welche Perspektive es sich handelt und warum der Autor diese gewählt
hat, wird die Wahl der Sichtweise heute kaum noch analysiert. Dabei
stehen einige Fragen hinter der Wahl der Erzählperspektive: Welche
Figuren sollen zu Wort kommen? Wie oft will ich die Perspektive
wechseln? Welche Erzählform ist passend?

Wenn Autoren ihre Entscheidung
bezüglich der Perspektive nicht intuitiv nach Vorlieben oder
emotionaler Nähe zu den Protagonisten wählen, gibt es andere
Faktoren, die berücksichtigt werden sollten. Denen gehen wir jetzt
auf den Grund.

Die Hauptfiguren:
Bevor die Perspektive gewählt werden
kann, muss erst einmal bestimmt werden, welche Figuren in der
Geschichte eine Rolle spielen. Egal ob man Outliner oder
Discovery Writer ist, man braucht am Anfang die Gewissheit,
wer der Protagonist ist. Meistens wird aus dessen Sicht geschildert,
was passiert. Doch was tun, wenn eine Perspektive nicht ausreicht?
Wenn man schildern will, was der Antagonist gerade für böse Pläne
schmiedet? Oder wenn ein Freund des Protagonisten entführt wird und
man erzählen will, was mit ihm passiert?

Die Antwort könnte simpel lauten: Dann
einfach die Sichtweise wechseln
. Ganz so leicht geht das aber nicht,
behaupte ich. Warum? Weil man für gewöhnlich die Erzählperspektive
an einem roten Faden entlang führt. Egal ob Perspektivenwechsel oder
nicht, man zieht es durch einen Roman hindurch. Für eine Szene mal
zu einem anderen Charakter wechseln und sonst alles aus der Sicht
einer Figur zu schreiben, das sollte man lieber vermeiden.

Mein Tipp: Lieber gleich von
Anfang an festlegen, welche Charaktere zu Wort kommen sollen. Ist es
nur einer, kein Problem. Sind es mehrere, dann alle von Zeit zu Zeit
erzählen lassen.
Ausnahme: Man bringt alle
Erzähler bis auf einen im Laufe der Handlung um. Das ist natürlich
auch eine Option, um den Perspektivenwechsel zu reduzieren.
Die Erzählperspektive:
Wenn man festgelegt hat, welche Figur
oder welche Figuren durch das Geschehen leiten, wird es Zeit, sich zu
fragen, wie man die Geschichte erzählen will. Soll es einen
Ich-Erzähler geben oder benutze ich lieber eine personale Form? Oder
ist die auktoriale Perspektive passend?
Hier ein paar Tipps, welche man warum
wählen sollte:
  • Ich-Erzähler: Reicht die
    Sicht einer Figur aus und will man deren Gedanken, Gefühle und
    Handlungen schildern, dann ist dieser Erzähler sinnvoll. Vor allem
    günstig ist die Ich-Perspektive, wenn der Protagonist Geheimnisse
    anderer Personen aufdecken muss und der Leser miträtseln soll.
  • Personaler Erzähler: Wenn
    die Sicht wechseln soll, ist grundsätzlich der personale Erzähler
    eine gute Option. Man muss nicht einmal über dem Absatz oder am
    Kapitelanfang kenntlich machen, wer spricht, denn der Name wird
    ständig erwähnt. Man benutzt ihn grundsätzlich dann, wenn sich
    mehrere kleine Geschichten zu einer großen zusammenfügen. Oder
    wenn die Hauptfiguren örtlich voneinander getrennt sind, man aber
    nicht darauf verzichten will, das Erlebte eines Charakters zu
    erzählen.
    Der personale Erzähler kann auch
    unter anderen Umständen auftreten. Zum Beispiel als
    unzuverlässiger Erzähler“, der mit seinen Kommentaren
    den Leser in die Irre führt – entweder weil er selbst keine
    Ahnung von der Geschichte hat oder weil er den Leser zu manipulieren
    versucht. Diese Form trifft man jedoch auch relativ selten an.
  • Auktorialer Erzähler: Die
    allwissende Erzählform wird eher zu einer Rarität in der heutigen
    Literatur. Gedanken und Gefühle mehrerer Personen innerhalb von
    Absätzen durcheinander zu würfeln und epische Vorausdeutungen wie
    „Dass es anders kommen würde, konnte sie in diesem Moment noch
    nicht ahnen.“ sind nicht mehr in Mode. Sowohl Leser als auch Autor
    folgen lieber einem roten Faden des Erzählens, das ist weniger
    verwirrend.
  • Ich + Ich: Natürlich kann man
    auch zwei Ich-Erzähler miteinander kombinieren. Dann muss
    allerdings kenntlich sein, wer gerade spricht. Wobei auch hier
    Ausnahmen existieren, denn in manchen Genres soll der Leser
    mitraten, wer gerade erzählt (z.B. wenn ein Mord passiert). So kann
    außerdem deutlich gemacht werden, wie zwei Figuren zueinander
    stehen. (Lässt sich allerdings auch auf personale Weise umsetzen.)
  • Ich + Er + Sie: Einen Ich-Erzähler
    und mehrere personale Erzähler zu haben, ist eher selten. Aber auch
    das ist eine Möglichkeit, um viele Sichtweisen zu schildern, dabei
    jedoch den Protagonisten hervorzuheben. Dabei muss allerdings klar
    dabei stehen, wer gerade zu Wort kommt. (Lässt sich ebenso in eine
    rein personale Erzählform abändern.)
Hat man die Hauptfiguren bestimmt und
die Erzählperspektive gewählt, steht dem Schreiben nichts mehr im
Weg. Und sollte man sich währenddessen unsicher werden, ob die
gewählte Perspektive die richtige ist, keine Sorge, die lässt sich
jederzeit ändern.

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