Das Lektorat – ein Mysterium?
Was passiert im Lektorat & und wie gehe ich damit um?
Fakt ist: Jeder Text braucht ein Lektorat.
Und das gilt ohne Ausnahme: Ob man ein literarisches Manuskript unters Volk bringen will, einen Fachartikel für eine Zeitschrift oder einen Werbetext erstellen muss – das Vieraugenprinzip ist unerlässlich, insbesondere wenn man sich an Themengebiete und Textarten heranwagt, die man noch nie zuvor er- und bearbeitet hat.
Warum das so ist, welche Funktion eine Lektorin/ein Lektor für die Autorin/den Autor und vor allem für den jeweiligen Text einnimmt, wird hier der Reihe nach behandelt. Klischees werden ausgeräumt und praktische Tipps verabreicht, worauf man als Autor bei einem Lektorat zu achten hat und wie man mit Textkritik umzugehen lernt.
- Worauf wird im Lektorat geachtet?
- Wie läuft ein Lektorat (idealerweise) ab?
- Wie tickt eine Lektorin/ein Lektor und was muss ich selbst beachten?
1. Worauf wird im Lektorat geachtet?
Das Stillektorat optimiert die Verständlichkeit und die Lesbarkeit eines Textes. Hierzu gehören eine klare, prägnante Ausdrucksweise sowie ein in sich stimmiger Aufbau. Es geht also um wesentlich mehr als in einem reinen Korrektorat, in dem in erster Linie auf Rechtschreibung, Grammatik, Zeichensetzung und Semantik geachtet wird.
Im Lektorat wird weiterhin Logik und Plausibilität bei der Erzählstruktur, Inhalt und Stil überprüft, Oberflächen- und Tiefenstruktur von Plot, Figurenbeziehungen und Thema durchleuchtet, der Spannungsbogen abgeklopft …
Das Augenmerk liegt auf folgenden Aspekten:
FORMALES
- Orthografie/Rechtschreibung
- Interpunktion/Zeichensetzung
- Grammatik, Satzbau (Satzlehre/Syntax)
- Tempus
- Typografische Standards, Formatierung
LOGIK
- Logik von Aufbau und Struktur, Stimmigkeit der Bezüge (Plot, Handlungsstränge, Figurenensemble, Thema)
- Plausibilität, inhaltl. Richtigkeit, Textkohärenz
- Stringenter Einsatz von Motiven
- Stimmigkeit der Erzählperspektive(n)
- Thematische Relevanz
DRAMATURGIE
- Spannungsbogen, Plot Points
- Verhältnis Oberflächen-/Tiefenstruktur einer Geschichte
- Figurenprofile und -beziehungen
- Funktionalität von Dialogen
- Emotionssequenz der Szenen
SPRACHE / STIL
- einheitlicher Sprachduktus
- Kontext, Zielgruppe, Genre
- Figurenauthentizität
- Erzählperspektive(n)
- Textkohäsion
- Semantik
- Stimmigkeit von Metaphern, Vergleichen, Assoziationen
- Tempo, Rhythmus, Sprachfluss
2. Wie läuft ein Lektorat ab?
Das kann tatsächlich sehr unterschiedlich sein. Wir gehen mal vom Idealfall aus:
- Textabgabe: Die Autorin/der Autor liefert das Manuskript und das zugehörige Exposé.
- Vorgespräch: Nach einer Einarbeitungszeit des Lektors gibt es ein Vorgespräch, in dem Timelines, techn. Voraussetzungen, Spezifika des Textes und Fragen des Autors/Lektors erörtert werden. Ggf. gibt es hier schon einen ersten Durchlauf mit Besprechung von Erzählstruktur und Dramaturgie (Plot-Aufbau und Figurenkonstellation).
- 1. Korrekturlauf – i. d. R. via Korrekturmodus in MS Word o. ä. Schreibprogrammen (Absprache) durch Lektor/in
- Bearbeitung des 1. Korrekturlaufs durch Autor/in – womöglich Umarbeitung des Stoffes, der Gliederung o. ä.
- Besprechung offener Fragen
- 2. Korrekturlauf – idealerweise hier bereits mit Finetuning und finaler Abstimmung.
- Bearbeitung des 2. Korrekturlaufs durch Autor/in
- Besprechung offener Fragen, ggf. letzte Änderungen
- Finale Abstimmung zw. Autor/in und Lektor/in: Hier muss alles, auch wirklich alles von beiden abgesegnet werden, jeder Gedankengang und jede Formulierung sitzen (Danach sind keine großen Änderungen mehr möglich, da die gesamte grafische Darstellung des gesetzten Dokumentes zusammenhängt. Ein wesentlicher Eingriff würde die ganze Struktur verändern und viel Arbeit verursachen.)
(Fakt ist: Selten geht alles so glatt, dass exakt zwei schlanke Durchläufe ausreichen. Es kann u. U. also noch ein längeres Hin und Her geben, bis alles sitzt.)
ACHTUNG: Das ist der Zeitpunkt, zu dem die Autorin/der Autor die Textbühne verlässt.
- Satz des Dokuments durch Grafiker
- Fahnenkorrektur – Verlag: intern durch Korrektor, Selfpub: Absprache (Nach dem Vieraugenprinzip sollte hier am besten ein externer Korrektor dazugeholt werden, denn auch die Lektorin/der Lektor ist irgendwann betriebsblind.)
ACHTUNG: Das ist der Zeitpunkt, zu dem NIX MEHR GEHT.
- [Druck]
- [Auslieferung]
- [Lesungen, Jubel, Dialog – Rezensionen! ?]
- [Rubel]
ACHTUNG: Die Handhabe ist teils sehr unterschiedlich: Frag bei jedem Verlag/Lektor/in nach, wie gearbeitet und abgerechnet wird. Insbesondere für Selfpublisher ist das wichtig. Es hilft dir nichts, wenn dir die Lektorin/der Lektor nach einer größeren Überarbeitung sagt, dass für einen weiteren Durchgang kein Budget mehr vorhanden ist.
Wichtig ist es, einen genauen Zeitplan zu definieren. Der Aufwand, den jeder einzelne Arbeitsschritt erfordert, ist nicht zu unterschätzen – für beide Seiten.
Gegebenenfalls muss umstrukturiert oder nachgeschrieben werden, das bedarf höchster Konzentration vonseiten der Autorin/des Autors – und vor allem Zeit. Zwischen Tür und Angel schreibt es sich schlecht! Und auch die Lektorin/der Lektor muss sich ein jedes Mal neu hineindenken, erneut alle Bezüge prüfen.
3. Wie tickt eine Lektorin/ein Lektor und was muss ich selbst beachten?
Das hört sich alles sehr dramatisch an und oft ist es das auch: für die Autorin/den Autor.
Denn eines darf man dabei nicht vergessen: Es geht um Herzblut, das eigene Baby, mit dem man monatelang schwanger gegangen ist. Autobiografisch hin oder her – ob 10, 50 oder 75 Prozent, es spielt erst einmal keine Rolle, denn diese Geschichte, die man sich aus dem Inneren geboren hat, ist doch ganz ein Kind des eigenen Geistes, eigener Gedanken und natürlich ist man hochsensibel, wenn es daran geht, hier den Rotstift anzusetzen.
Und glaub mir: All das ist der Lektorin/dem Lektor bewusst!
Sie/Er hat das im Hinterkopf, jedoch vor allem die Aufgabe, genau das auszublenden und sich ganz auf den Text zu konzentrieren. Der Text, das Endprodukt deiner Gedankengänge, ist alles, was in dem Moment zählt.
Der Lektor ist daher so viel mehr: Therapeut der Figuren, Stofffühler und Dramaturg, Plotstatiker und Tempomacher, Rhythmushorcher und Sprachschleifer, Stilpolizei und Neologismusdoktor.
Ein Lektor ist kein Antagonist, gegen den es sich zu behaupten gilt, sondern Wegbegleiter und vor allem: Schutzengel des Textes, Mentor des Autors, Advokat des Lesers.
Mach dir Folgendes bewusst:
- Eine Lektorin/Ein Lektor hat keinerlei Interesse daran, dir oder deinem Text zu schaden, ganz im Gegenteil: Sie oder er möchte das Maximum aus dem Text herausholen. Jegliche Anmerkung ist zum Wohle des Textes und wird ggf. diskutiert.
- Die Hoheit über den Text – namentlich das Urheberrecht – liegt immer bei der Autorin/dem Autor. Der Lektor spricht Empfehlungen aus – was du daraus machst, liegt an dir!
- Es ist alles eine Frage der Kommunikation!
Ein Lektorat ist für die Autorin/den Autor – gerade bei einem Debüt – eine hochemotionale Angelegenheit. Es ist wichtig, dass man sich innerlich distanziert, die Vogelperspektive einnimmt, versucht, sich in das Gegenüber – den potenziellen Leser hineinzuversetzen.
Konstruktive Textarbeit funktioniert nur,
wenn man das eigene Ego und die eigene Befindlichkeit ausblendet.
Was man also braucht, um ein Lektorat erfolgreich zu durchlaufen, ist:
- Abstand
- Abstraktionsvermögen
- Selbstüberwindung
- Vertrauen
- Dialogbereitschaft
Woran du ein gutes Lektorat erkennst und wie du für dich diese Nr. 1 findest, liest du u. a. in dem Schreibnacht-Artikel „Wie finde ich „meine Lektorin oder „meinen“ Lektor?