Halloween-Kurzgeschichte 1: Kürbiszeit

Halloween-Kurzgeschichte 1: Kürbiszeit

Diese Geschichte ist im Rahmen des Halloween-Wettbewerbs im Schreibnacht-Forum entstanden und hat den ersten Platz belegt. Die Autorin ist Sophia Milnikel. Drei weitere Kurzgeschichten werden im Magazin veröffentlicht, andere findet ihr im Forum. Nochmals vielen Dank für die zahlreichen Einreichungen und jetzt viel Spaß mit „Kürbiszeit“.

Rötlich schimmerte der Himmel im Osten, als ich am Morgen auf den Hof unseres Weingutes trat. Ich atmete tief ein und ließ den Blick wandern. Der Herbstwald hinter dem Dorf färbte sich langsam, Nebelschwaden stiegen aus der Flussaue empor und zogen Geistern gleich über das Tal. Ich liebte diese Stimmung. Endlich wieder daheim und das zur Kürbiszeit!

Ich machte mich auf den Weg in den Weinkeller. Während ich Weinfässer kontrollierte und Temperatur und Alkoholgehalte in den Datenblättern notierte, gingen meine Gedanken mal wieder zurück nach Spanien. Dort hatte ich den Sommer und Frühherbst auf einem Weingut verbracht. Ich war mit viel neuem Wissen über den Weinbau und vielen neuen Ideen zurück gekommen, aber mein Herz, das war in Spanien geblieben. Wie so oft dachte ich an Juan und an die gemeinsame Zeit, die wir nach Feierabend miteinander verbracht hatten.

“Sag mal, Sebastian, bist du eingeschlafen?” Ich war so in Gedanken, dass ich vor Schreck beinahe meine Mostwaage fallengelassen hätte. Erst in letzter Sekunde konnte ich den Kolben festhalten.

“Träumst du von Spanien?” Meine Schwester trat neben mich. “Komm, ich mach hier fertig. Die brauchen oben einen starken Mann.”

Auf dem Hof war inzwischen die ganze Familie dabei, alles für unseren großen Abend vorzubereiten. Meine Mutter und meine Oma richteten die Verkaufsstände her. Kürbisse aller Größen, Formen und Farben lagen in Körben und auf Tischen: riesige Muskatkürbisse, birnenförmige Butternut-Kürbisse und viele mehr. Jeder Tisch war mit kleinen Kürbisgeistern geschmückt, die wir in den letzten Tagen gemeinsam geschnitzt hatten. An der Veranda hingen weiße Lampion-Geister und hinter dem Haus auf der Obstwiese würden heute Abend die Geister und Hexen ihr Unwesen treiben. Halloween eben.

Heute Abend würde das ganze Dorf zu uns kommen. Die Idee für diese Halloween-Feier war meinem Bruder und mir gekommen, als wir nach weiteren Möglichkeiten suchten, Besucher auf unser Weingut zu locken. Inzwischen war unsere Halloween-Feier legendär.
Gemeinsam stellten wir die Sitzgarnituren in der freigeräumten Tenne auf und stapelten Holz für das traditionelle Abschlussfeuer auf einer freien Fläche zwischen den Bäumen auf. Es würde großartig werden und für den Moment vergaß ich sogar meine Gedanken an Juan.
Zuletzt platzierte ich mit meinem Bruder unser Meisterstück in der Hofeinfahrt: einen riesigen Kürbis, dem wir eine wahrhaft schauerliche Fratze verpasst hatten.

Nach Einbruch der Dämmerung füllte sich der Hof rasch. Studenten in den schaurigsten Kostümen hatten bereits begeistert Posten bezogen und würden sich später unter die Gäste mischen. Ich kannte sie alle, die Hexen, Zauberer, Zombies und Geister. Auch meine Familie und ich hatten uns verkleidet. Oma und Mama sahen aus, als kämen sie auf direktem Weg vom Blocksberg und Papa machte als einäugiger Geisterpirat Eindruck. Ich selbst ging als Vampir und Simon war der perfekte Joker. Fast schon unheimlich gut.

Wir hatten gut damit zu tun, Glühwein und Kinderpunsch auszuschenken, Kürbissuppe zu verteilen und immer wieder neue Süßigkeiten im Obstgarten zu verstecken, wo die Kinder mit ihren Familien umhergehen und sich gruseln konnten. Die Geisterlichter flackerten im Windhauch, absolut passend zog Nebel vom Fluss herauf und unsere Untoten und Hexen waren schaurig gut. Immer wieder hörten wir schrille Schreie, gefolgt vom Ruf “Halloween!” Mit diesem Ruf gaben die Kinder den Geistern das Zeichen, wenn sie genug hatten und sich zu sehr gruselten. Die Großen freilich hatten ihren Spaß und auch die Dorfjugend war hier versammelt. Wir schafften es wirklich, fast alle mit unserem Fest anzusprechen.
Ich war gerade dabei, Nachschub an Suppentellern zu holen, als mir zum ersten Mal ‘der Tod’ auffiel, der sich zwischen den Bäumen bewegte. Der Tod trug ein schwarzes Kostüm, auf dem ein fluoreszierendes Skelett leuchtete. Sogar der Schädel stach erschreckend deutlich und klar aus der Dunkelheit hervor. Ich konnte auf den ersten Blick nicht erkennen, ob es sich um eine Maske handelte.

Einer von den Schauspielern? Ich glaubte es nicht, doch dieses Kostüm war fast schon professionell. Ich warf ihm einen bewundernden Blick zu, dann brachte ich meiner Mutter die neuen Teller an die Suppenausgabe. Noch einmal drehte ich mich um und sah gerade noch wie ‘Tod’ sich abwandte, zwischen den Obstbäumen verschwand und sich einer Gruppe Teenies näherte. Kurz darauf ertönte ein halb geschrienes, halb gekichertes “Halloween!”. Ich freute mich, dass unser Fest so gut ankam.

Im Laufe des Abends sah ich Tod immer wieder. Er schien mich zu verfolgen. Egal, ob ich in der Tenne benutztes Geschirr abräumte, Kerzen wieder entzündete oder Grillanzünder zwischen die Holzscheite an der Feuerstelle steckte. Immer wieder tauchte er wie ein Schatten auf und schien mich zu umkreisen. Mal lehnte er an einem Baum, seine Silhouette gegen den Nachthimmel fast nicht wahrzunehmen – nur die Knochen leuchteten im Dunkel -, dann wieder verschwand er hinter einer Mauer oder schlenderte über den Hof. Wer war das? Mir blieb nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, denn es gab genug zu tun.

Dann endlich neigte sich das Fest dem Ende und wir endzündeten das Feuer. Die Gäste versammelten sich, um dem Tanz der Geister zuzusehen. Wir hatten einen weiten Ring um das Feuer abgesperrt, und die Jungs von der Freiwilligen Feuerwehr standen ebenfalls bereit.
Ich stand etwas abseits und verfolgte das bunte Treiben. Eine tiefe Zufriedenheit erfüllte mich. Das Fest war wieder ein voller Erfolg gewesen. Die Funken flogen in den Himmel und verglühten über den Köpfen der Tanzenden. Ich konnte nicht anders als meinen Blick über die versammelten Gäste wandern zu lassen, doch Tod konnte ich nirgends mehr entdecken.

Auf einmal berührte mich etwas an der Schulter. Ich fuhr herum, doch da war nichts. Ein Zweig knickte hinter mir und plötzlich spürte ich jemanden auf meiner anderen Seite und wandte den Kopf. Tod. Er stand neben mir.

“Truco o trato.”

Ich war so perplex, dass ich erstmal gar nichts verstand. Dann ereilte mich die Erkenntnis.

“Du bist hier?”

Sein warmes Lachen klang durch die Nacht. Er beugte sich vor und im Schein des Feuers erkannte ich unter dem perfekten Make-Up des Totenschädels Juans warme braune Augen. Sie funkelten mich belustigt an und der Schädelknochen bekam plötzlich kleine Fältchen. “Si, claro, hombre! Ich wollte dich sehen.”

Truco o trato – Süßes oder Saures.



Über die Autorin

Sophia Milnikel lebt mit ihrem Mann und drei Söhnen im westlichsten Zipfel Bayerns. Die Ideen für ihre Geschichten kommen ihr meist bei der Gartenarbeit oder beim Kochen und Backen für ihre Familie. Neben Kurzgeschichten arbeitet sie gerade an einem Roman. Ihre nicht so heimliche Leidenschaft gilt guter Schokolade und britischen Krimis.

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