Kolumne | „Was schreibst du eigentlich?“

Kolumne | „Was schreibst du eigentlich?“



„Sag mal, du schreibst doch ein Buch, oder?“

In meinem Kopf geht ein Alarm los. Eine laute, schrille Sirene, die begleitet von einem roten Licht monoton vor sich hin kreischt, während eine blechern klingende Durchsage durch alle Abteilungen meines Seins schallt. „Achtung! Dies ist keine Übung! Frage eines Nichtschreibers auf zwölf Uhr! Ich wiederhole: Das ist keine Übung!“ 



Der Notstand bricht aus und irgendwo in der Chefetage hinter dem Kontrollpult für mein Sprachzentrum bekommt ein einsames Notfallteam nervöse Schweißausbrüche. Jetzt bloß keinen Fehler machen, denken sie sich, während sie vorsichtig die Hebel und Knöpfe vor sich bedienen.



„Jaaaaa… Warum?“, erwidere ich schließlich gedehnt und mustere meinen Gegenüber misstrauisch.



„Na ja“, meint der gelassen und merkt kein bisschen etwas von dem Notstand in meinem Gehirn. „Worum geht’s denn so? Jetzt ganz knapp, meine ich.“



Stromausfall, Systemzusammenbruch, die Sirene verstummt, das rote Licht geht aus, irgendwo ganz unten fallen ein paar Angestellte spontan in Ohnmacht, während die Führungsriege hektisch auf die Knöpfe vor sich drückt. Ohne Erfolg, der Strom ist weg und nur mein Auge zuckt ein ganz klein bisschen nervös.


Ganz kurz? Wie soll denn das funktionieren? Ganz kurz?!



Ganz kurz, das würde eine Komprimierung bedeuten. Und Komprimierung, das ist für einen Autor ab einem gewissen Punkt immer schwer. Schon das Rauskürzen einer bestimmten Randfigur kann uns fast körperliche Schmerzen bereiten, eine ganze Idee zur Vereinfachung auf Eis zu legen ist manchmal noch schwerer, aber die höchste Kunst, die Königsdisziplin, die den meisten von uns schwerfällt ist die, alles zusammenzufassen. Ob zwei Sätze Quintessenz oder Klappentext: Zusammenfassung bedeutet Verknappung und Vereinfachung.

Aber wie soll ich etwas vereinfachen, wenn doch alles so wichtig ist? Diese Nebenlinie des Plots einfach weglassen? Dann macht doch nichts mehr Sinn! Jene Hintergrundgeschichte der Eltern des Antagonisten nicht erwähnen? Aber das ist doch die Basis für den gesamten Konflikt! Die Technologie, die erst sehr spät eine Rolle spielt, außen vor lassen? Nein, damit wird sich doch alles auflösen!
Damit ist schon der Punkt mit der Schnappatmung meinerseits erreicht, an dem ich meine Figuren und Plotlinien am liebsten alle unter meinen Arm klemmen und so festhalten möchte, als ob ich sie nie wieder loslassen würde, während ich irgendetwas davon kreische, dass sie doch alle wichtig seien! Ich kann doch nichts aussortieren! Nicht, wenn das alles so zentral ist!
Ob beim Zusammenfassen oder Kürzen eines Projekts bzw. eines Romans: Früher oder später muss fast schon die „Kill your Darlings“-Methode greifen. Oder noch drastischer benannt: Früher oder später muss man einen Teil seiner eigenen kreativen „Kinder“ töten.
Der Satz hört sich schrecklich an und das soll er auch, aber das wirklich Traurige ist, wie passend er leider ist.
Denn während ich genauso wegen dem tragischen Schicksal meiner Figuren manchmal irre lachend wie der klischeehafte Bösewicht eines Superheldencomics vor dem Computer sitze, will ich Rotz und Wasser heulen, wenn einer von ihnen plötzlich komplett aus der Geschichte fällt. Denn ein Teil von mir findet diese Figur bereits wichtig, auch wenn sie es für niemanden sonst ist, und dieser Teil bekommt es einfach nicht hin, dieses noch so geringe Detail beiseite zu lassen.
Dieser Teil sitzt auch schreiend mitten im Raum und fordert einen Klappentext über mindestens fünf Seiten. Anders lässt sich das doch alles gar nicht komprimieren! Okay, vielleicht noch vier Seiten, aber nicht weniger!
Das geht so eine Weile, bis ein guter Freund oder Lektor die Schnauze voll hat, diesem kreischenden Etwas, das den gesamten Plot umklammert, die Story entreißt und kurzerhand einen Klappentext draus macht. Pflaster kurz und knapp abgerissen, in meinem Hirn kann wieder der normale Betrieb einkehren. Das System wird wieder hochgefahren, das Notfallteam kann sich wieder beruhigen.
War doch gar nicht so schlimm, oder?

Euch fallen noch andere Probleme ein, die typischerweise nur Autoren
haben? Tweetet sie mir doch an @hekabeohnename oder teilt sie mir über diesen Thread im Forum mit!  

5 Gedanken zu „Kolumne | „Was schreibst du eigentlich?“

  1. Lustigerweise sitze ich gerade an der Überarbeitung meines Klappentextes, obwohl das Buch noch gar nicht fertig ist – diese Situation des "Erzähl' mal kurz was" habe ich als Motivation im Hinterkopf 🙂 Und jetzt, wo er in den letzten Zügen ist, fühle ich mich mehr gewappnet, solch ein Frage adäquat beantworten zu können!

    1. Ich denke, mit dem Klappentext im Kopf könnte solch eine Situation gut zu überstehen sein 🙂 Und den generell zu verfassen ist ja sowieso eine gute Übung (hab da echt lange dran gesessen, für so ein bisschen Text -.-).

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