Kolumne | Autoren und Notizbücher Oder: Herzlich willkommen zur Selbsthilfegruppe!
„Ooooh, sind die schön!“, quietscht es neben mir und die Freundin, mit der ich unterwegs bin, deutet mittelmäßig hektisch auf das Schaufenster zu unserer Rechten. Ich heuchle ein bisschen Interesse und sehe zur Seite, verstehe nicht auf Anhieb, was sie meint, aber da fuchtelt sie erneut in der Luft herum. Ein zweiter irritierter Blick meinerseits folgt und jetzt verstehe ich, was der Grund für ihr Gequietsche ist: Ein paar schwarze Stiefeletten stehen dort und sind offenbar der Grund für ihre Aufregung.
„Aha“, sage ich und versuche gar nicht erst so zu tun, als ob ich das Gequietsche wegen eines Paares Schuhe verstehen würde. Stattdessen nehme ich einen Schluck von meinem Kaffee und schiele dabei auf das Preisschild, das für mich schon Grund genug wäre, einfach weiterzugehen und die Schuhe direkt wieder zu vergessen.
„Wie kann es sein, dass du so gar keinen Sinn dafür hast?“ Die Freundin rollt mit den Augen, ich zucke mit den Achseln.
„Es sind doch nur Schuhe“, erwidere ich, ernte dafür aber nur erneutes Augenrollen und wir gehen weiter.
Fünf Minuten später, eine ähnliche Szene, nur dieses Mal bin ich das quietschende Monster. Vor mir: Ein Schreibwarengeschäft. Im Schaufenster: Notizbücher. Reduziert.
Ich überlege spontan, ob ich bis zum Ende des Monats nicht doch mal zur Abwechslung von Luft und Liebe leben kann.
Ich glaube, das Beste daran, öffentlich zuzugeben, dass man in irgendeiner Weise schreibt (egal ob als Journalist, Blogger oder Schriftsteller im künstlerischen Sinne) ist die Narrenfreiheit, die ein bisschen damit einher geht. So wie Nerds eben klischeemäßig immer vor dem Computer hängen, sind auch Autoren ein bisschen exzentrisch und komisch. Künstler eben. Und Künstler dürfen eine seltsame Macke haben. Nichts zu Durchgeknalltes, aber ruhig etwas, das ein „Normalsterblicher“ eher weniger verstehen kann oder will. Schreibblockaden zum Beispiel und warum die echt sein und nicht (nur) an der Faulheit des Schreibenden liegen können. Oder eben Schreibwaren. Notizbücher. Schöne Stifte. Haftzettel.
Na? Bekommt Ihr auch spontan warme Gefühle bei diesen Worten? Dann Herzlich willkommen in der ultimativen Schreibnacht-Selbsthilfegruppe für exzentrische Schreiberlinge mit Notizbuchfetisch. I will be your guide. Denn ich bin bei diesem Notizbuchproblem vermutlich ganz vorne dabei.
Denn betrete ich ein Schreibwarengeschäft, muss ich mich so sehr zusammennehmen wie in keinem anderen Laden. Diese hübschen Post-its kosten ja nicht viel! Und solche Stifte wollte ich schon ewig. Oh, und wo wir schon dabei sind: Einen neuen Notizblock brauche ich ja auch noch, aber dann kann ich doch eigentlich direkt auch eines dieser hübschen Notizbücher mit den coolen Sprüchen mitnehmen, oder? Aber welcher Spruch nur? Okay, ich grenze die Auswahl auf drei ein. Nur drei wandern mit mir nach Hause. Okay, vier. Dann ist aber Schluss. Ich glaube, ich muss ganz schnell zur Kasse, sonst werde ich noch richtig arm. Ah, halt, noch grade ein paar neue Textmarker, und wie zur Hölle kommt es denn jetzt, dass ich etwa dreifach so viel ausgebe, wie ich ursprünglich geplant hatte?!
Mein Geldbeutel schreit, mein Hirn ignoriert es und am Ende wandern wieder neue Notizbücher in meine Sammlung. Inzwischen bin ich so weit, dass ich mir eingestanden habe, dass ich es einfach mag, Notizbücher zu horten. Komplett befüllt habe ich bis heute kein einziges. Ein oder zwei sind nahe dran, aber das war’s auch schon. Warum auch? Die meisten sind dann doch zu hübsch, um etwas in sie hinein zu schreiben. Ich kann doch nicht dieses wunderschöne Papier mit unausgereiften profanen Gedanken beschmutzen! Wo denkt ihr hin! Dann doch lieber digital rumschmieren und mich analog an der Schönheit des unbeschriebenen Papiers erfreuen.
Das geht so weit, dass bei meinen Eltern nach wie vor eine stattliche Sammlung an Notizbüchern steht und in meiner eigenen Wohnung (eigentlich aus Platzgründen, aber auch weil ich ohnehin weiß, dass ich mich nie trauen werde, diese Seiten zu beschreiben) nur ein Bruchteil davon. Aber sie sind nun einmal so schön!
An diesem Punkt, an dem ich längst glasige Augen habe und ins Schwärmen darüber geraten kann, dass ich doch so gern einmal ein Notizbuch mit Ledereinband und mit handgeschöpftem Papier hätte, einfach weil es so wunderschön wäre, so etwas zu besitzen, ist meine Umgebung meistens eher mittelmäßig irritiert. Notizbücher, nur um sie zu besitzen? Nicht, um etwas hineinzuschreiben? Und warum macht es dann einen Unterschied, ob die Seiten liniert oder kariert sind? Und selbstverständlich: Warum will man denn überhaupt Notizbücher um ihrer selbst willen immer und immer wieder horten? So sehr, dass man sogar ganz bewusst welche als Souvenir aus dem Urlaub mitnimmt?
Trotzdem schwärme ich weiter, denn ich bin nicht allein. Auf der letzten Frankfurter Buchmesse habe ich ein ausführliches Gespräch über handgefertigte Kugelschreiber geführt, die Instagram- und Twitter-Profile anderer Autoren zeugen regelmäßig vom Notizbuchfetisch anderer und last but not least brauchte es nur einen einzigen Tweet meinerseits darüber, um spontan verschiedene Schreiberlinge meiner Timeline zu mobilisieren und ebenfalls zum Schwärmen zu bringen.
Vielleicht ist diese Obsession mit Notizbüchern dann doch nicht nur mein persönlicher exzentrischer Tick, meine Macke, sondern nur der allgemeine Wahnsinn einer schreibenden Person. Also fast normal. Alles nur eine Frage der Perspektive.
Brauche ich am Ende doch eine andere Künstlermacke?
6 Gedanken zu „Kolumne | Autoren und Notizbücher Oder: Herzlich willkommen zur Selbsthilfegruppe!“
Du sprichst mir aus der Seele. Bisher habe ich noch niemanden getroffen, der diese Macke geteilt hat. Es ist schön zu wissen, dass dich jemand versteht. Die leeren Seiten in einem Notizbuch bieten alle Möglichkeiten und im Grunde ist das mit einer der (bewussten) Gründe für meine Obsession: die schier unendlichen Möglichkeiten, was man auf diesem Weiß erschaffen kann. Nur wenn man erstmal reinschreibt, sind diese Möglichkeiten weg, du hast dich für eine Version entschieden und sie festgehalten.
Manchmal sehe ich ein Notizbuch und muss direkt an eine Geschichte denken, die ich gern dort reinschreiben würde, weil es einfach die Atmosphäre der Geschichte oder den Charakter des Protagonisten spiegelt. Dann muss ich es einfach haben. Oder wenn es soooo viele Seiten hat, dass darin gefühlt ein Roman reingeschrieben werden könnte.
Wovon ich träume, ist ein Notizbuch, das wie ein mittelalterlicher Schriftband aussieht: mind. A4, in Leder gebunden und so viele Seiten, dass mir das Wasser im Mund zusammenläuft ob der unendlichen Weiten von Papier, das nur auf meine Ideen wartet. Dazu 3 oder 4 Lesezeichenbänder, ein Buchrücken mit diesen Erhebungen vom Binden mit Kordeln… Ein Traum.
Und da ich mich nun am Buchbinden versuche, werde ich es mir eines Tages selbst erschaffen. Nur brauche ich etwas mehr Übung, dass das alles vernünftig aussieht. Überleg dir mal, wenn du selbst Bücher binden kannst, gibt es keine Limits mehr, nur deine Fantasie setzt dir die Grenzen.
Eine Macke? Ja, aber ich liebe meine Macke. Notizbücher Stifte, Post-its, kleine Blöcke, Karteikarten – immer her damit. Mir scheint es immer, dass mein Kopf vor Ideen überquillt und ich immer mehr Platz dafür brauche, denn es kommt ja jeden Tag neues Gedankengut dazu. Und dann steht auf einmal noch ein Notizbuch mehr im Regal und bietet mir unendliche Möglichkeiten, mich auf seinen Seiten zu verewigen.
Oh, Gott, ich glaube, wenn ich mit Buchbinden anfangen würde, würde ich dauerhaft pleite sein, denn das bietet ja auch so wunderschöne Justierungen der Feinheiten wie der Papiersorte, das richtige/besonders schönes Umschlagmaterial und und und…
I feel you.
danke, erinnere mich wieder an eine meiner blödsten Macken.. 😀
denn ich habe auch unzählige Notizbücher. Wirklich UNZÄHLIGE! Die sind aber auch so praktisch! Oder wären es zumindest, wenn ich sie mal benutzen würde, denn brauchen tue ich gleichzeitig immer nur.. eines. Und das reicht. Monatelang.
Blöd auch, dass meine Mutter auch davon weiß und mir daher dauernd weitere, schöne Notizbücher schenkt. Aargh! 😀
Gern geschehen, dafür bin ich da. 😀
Und das Problem mit deiner Mutter verstehe ich. Ist mit meiner ähnlich, das ist immer das Problem, wenn Mütter wissen, was ihren Kindern gefällt 😉
Von Notizbüchern kann man aber auch wirklich nicht genug haben! <3 Ich bin sogar mal in Tränen ausgebrochen, weil ich's geschafft hab, ein Colaglas umzukippen und daraufhin welche von meinen Notizbüchern versaut waren, weil die Cola in meiner offenen Tasche gelandet ist. 🙁
Und gestern wollte ich mit meinem Freund schimpfen, weil er zum Geld überweisen ewig gebraucht hat – und dann kam er zum Auto zurück und hatte in seiner Tasche 5 Packungen Haftnotizstreifen für mich. *___* Wie kann man da noch böse sein? 😀
Schreiben ist das Schönste auf der Welt – und von allem, was damit zu tun hat, kann man doch gar nicht genug haben. 😉
Okay, mit 5 Packungen Post-its oder so ließe ich mich glaube ich auch bestechen. 😀