Halloween-Kurzgeschichte 3: Kürbisyokai

Halloween-Kurzgeschichte 3: Kürbisyokai

Diese Geschichte ist im Rahmen des Halloween-Wettbewerbs im Schreibnacht-Forum entstanden. Die Autorin ist IrinaC. Drei weitere Kurzgeschichten werden im Magazin veröffentlicht, andere findet ihr im Forum. Nochmals vielen Dank für die zahlreichen Einreichungen und jetzt viel Spaß mit „Kürbisyokai“.

„Da fehlt Salz“, kommentiert der Chef, nachdem er den Löffel in die Spüle geworfen hat, dass jeder Kopf zu uns herumfuhr. Ich nicke stumm, nehme den Salzbehälter aus dem Regal, würze nach, rühre, probiere. Doch ich schmecke keinen Unterschied. Ich schmecke überhaupt nichts. Zur Sicherheit gebe ich eine weitere, ordentliche Prise Salz hinein. Keine Ahnung, ob es jetzt besser ist. Während die Suppe aufkocht, schneide ich den zweiten Kürbis in Würfel, akkurat quadratisch und so klein wie möglich. Ich weiß, dass ich es kann. Jedenfalls wenn ich gesund bin. Aber eine Erkältung ist mit das Schlimmste, was einem Koch passieren kann. Noch lange bevor der Schnupfen oder Husten da ist, verliert man schon einen Teil seines Geschmackssinnes. Und das ausgerechnet heute.

Erneut überprüfe ich, ob ich an alles gedacht habe, was ich für das Suppeninlay brauche. Aber ich muss warten, bis mein Chef erneut seine Runde dreht und mir über die Schulter schauen kann. Und das tut er, im wahrsten Sinne des Wortes. Und es macht mich wahnsinnig. Es stört mich nicht, wenn ich jemandem etwas erkläre oder zeige und man mir beim Kochen zusieht. Vielmehr ist es Jacob, der diesen besonderen „Nervfaktor“ bei mir kitzelt. Er riecht zu gut, ich mag seine Stimme zu sehr sowie sein Lächeln. Viel mehr als gut für mich ist, wenn ich meinen Job hier auch nach der Probezeit behalten will. Und genau deswegen koche ich gerade meine Kürbissuppe nach einem Rezept meiner Großmutter. Nur für ihn. Also jedenfalls in meinen Gedanken. Tatsächlich natürlich für die Gäste, die heute Abend das Halloweenmenü gebucht haben.

Wenig später steht Jacob erneut neben mir. Ich bekomme kaum noch Luft, das Schlucken fällt mir schwer und mein Kopf fühlt sich an, als würde er gleich platzen. Und ausnahmsweise ist keine dieser Reaktionen auf seine Nähe zurückzuführen. Auch nicht der Schweiß, der mir eiskalt über den Rücken läuft. Er spuckt die Suppe in die Spüle und wirft mir einen Blick zu, der mehr sagt als tausend Worte.

„Moritz, bring das hier in Ordnung. Ich brauch diese verdammte Suppe in einer halben Stunde.“ Der angesprochene nickt und wirft mir einen entschuldigenden Blick zu. Mir ist zwischenzeitlich alles egal. Ich fühle mich schlecht, kann mich kaum an meinen eigenen Namen erinnern. Das Einzige, was mich auf den Beinen hält, sind die Grippe- und Schmerzmittel, die ich vor Dienstbeginn eingeworfen habe. Und deren Wirkung langsam nachlässt. Erschöpft lasse ich mich im Hinterhof auf die kleine Bank in der Raucherhütte fallen. Allerdings habe ich mein Nasenspray in der Jacke vergessen. Fluchend stehe ich wieder auf. Alles um mich herum beginnt sich zu drehen. Ein dumpfer Klang und dann nichts mehr.

Das Nächste, was ich fühle, sind Kälte und Schmerzen.

Wortfetzen wie ‚Krankenhaus‘ und ‚Gehirnerschütterung‘ dringen zu mir durch, dann werde ich hochgehoben. Ich beantworte ein paar Fragen des Sanitäters, bekomme Schmerzmittel und dämmere weg. Als ich wieder zu mir komme, liege ich in einem Bett. Nur ein schwaches Licht lässt mich meine Umgebung erkennen und ich fühle mich nur noch halb so mies. Jedenfalls bis mir einfällt, dass ich wahrscheinlich meinen Job verloren habe. Ich schwinge meine Beine aus dem Bett, ignoriere den Schwindel. Der Infusionsschlauch ist schnell entfernt. Ich muss mit meinem Chef reden. Sofort. Dummerweise habe ich nichts an, aber sicher ist meine Kleidung in einem der Schränke. Vorsichtig taste ich mich durch das Zimmer.

„Was zum Teufel hast du vor?“, spricht jemand mich an und ich fahre herum. Denn die Stimme kenne ich nur zu gut.
„Ich muss … es ist wegen der Suppe“, stammle ich. Jacob schiebt mich zurück aufs Bett. „Mit der Suppe ist alles in Ordnung. Moritz hat sich darum gekümmert. Es ist mitten in der Nacht, Aki. Du solltest noch ein bisschen schlafen, bevor sie dich morgen nachhause schicken.“
„Aber …“
„Aki, zwing mich nicht dazu, dich zum Schweigen zu bringen.“
Er streicht mir die Haare aus dem Gesicht und sieht mich liebevoll an. Wahrscheinlich ist mein Fieber doch schlimmer als ich dachte. Und hatte nicht der Arzt was von Gehirnerschütterung gesagt? Außerdem ist Halloween und möglicherweise ist er von einem Yokai besessen. Ein bisschen abergläubisch bin ich, obwohl ich in Deutschland aufgewachsen bin. Japanische Geistergeschichten kenne ich nur von meiner Oma. Bestimmt ist bei Sonnenaufgang wieder alles normal.

„Oder ich muss ihn töten“, murmle ich und lege mich ins Bett.
„Du musst was?“
„Nichts, es ist ein Yokai. Wahrscheinlich verlässt er deinen Körper sowieso bald von alleine wieder.“ Jacob sieht mich fragend an, murmelt was von „wohl doch eine Gehirnerschütterung“ und runzelt besorgt die Stirn. „Und was ist eigentlich so wichtig an dieser versalzenen Suppe, dass du einfach so das Krankenhaus verlassen willst?“
„Ich … kann das besser“, erwidere ich schwach.
„Das weiß ich doch. Und hättest du gesagt, dass du krank bist, hätte ich dich nachhause geschickt.“
„Aber ich muss doch …“
„Du musst jetzt vor allem gesund werden.“
„Aber ich …“

Weiter komme ich nicht, denn Jacob küsst mich. Einfach so. Hier. Im Krankenhaus. „Ich hatte dich gewarnt.“ Er drückt mich zurück ins Bett, deckt mich zu und klingelt nach der Nachtschwester. Während diese die Infusion wieder in Ordnung bringt, verlässt Jacob das Zimmer.

Als ich am nächsten Morgen aufwache, sitzt er erneut neben meinem Bett. Während ich noch überlege, ob das alles ein Traum gewesen ist.
„Guten Morgen“, meint er fröhlich. Ich hingegen fühle mich wie zu weich gekocht.
„Wie war das Halloweenmenü?“, erkundige ich mich zögerlich.
„Ach, sobald sich jemand über die etwas salzige Kürbissuppe beschwert hat, hab ich einfach gesagt, dass unser neuer Koch verliebt ist.“
„Und das hat funktioniert?“
„Klar, besonders weil ich behauptet habe, dass er in mich verliebt ist.“
Ich schnappe nach Luft. Das mit dem Traum kann ich dann wohl vergessen. Das würde ja aber bedeuten … Während ich noch zwei und zwei zusammenzähle, beugt er sich zu mir herunter. „Stimmt“, flüstere ich, kurz bevor unsere Lippen sich treffen.

Über die Autorin

Mein Name ist Irina Christmann, geboren wurde ich 1976 in Kaiserslautern. Wohne allerdings seit über 20 Jahren im oberfränkischen Hof.
Seit 2014 veröffentliche ich, als Ani Rid, Kurzgeschichten und Romane im queeren Bereich. Unter anderem wurden diese auch bei den HomoSchmuddelNudeln und anderen Anthologien für den guten Zweck publiziert.
Ich liebe es, mit meinem Hobby anderen Menschen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, oder auch zum Nachdenken anzuregen, wenn die Themen mal nicht ganz so einfach sind.

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