Wo dein Deutschlehrer falsch lag
Eigentlich müssten Deutschlehrer doch wissen, was gelungene Texte ausmacht. Wie kann es da sein, dass einige ihrer Ratschläge deinem literarischen Schreiben mehr schaden können als nutzen? Wieso solltest du sie so schnell wie möglich vergessen?
Es war einfach nicht die Hauptaufgabe deines Lehrers, aus seinen Schülern Schriftsteller zu machen. Vielmehr ging es ihm darum, ihnen Schreiben und Lesen beizubringen. Und er hatte dafür zu sorgen, dass jeder seiner Schüler über ein gewisses sprachliches Repertoire verfügt, um einigermaßen komplexe Gedankengänge kommunizieren und aufnehmen zu können.
Da wundert es kaum, dass nicht alles beim literarischen Schreiben hilft, was du in der Schule gelernt hast. Mach dir deshalb die gefährlichsten Ratschläge bewusst und lass dich beim Schreiben nicht länger von ihnen beschränken.
1. Verwende immerzu ganz viele tolle Adjektive!
Gerade bei Kindern und Jugendlichen, bei denen die Inhalte aus dem Deutschunterricht noch sehr präsent sind, passiert es häufig. Werden sie nach ihrer Meinung gefragt, was eine gute Geschichte ausmacht, landet auf den vorderen Plätzen mit relativer Sicherheit die Antwort: viele Adjektive verwenden. Und wenn man weiter fragt, wie sie denn darauf kommen, ergänzen sie: So kann man sich als Leser ganz genau vorstellen, was in der Geschichte los ist.
Adjektive sind im Lernstoff beliebt, da sie dabei helfen, den Wortschatz zu erweitern und Situationen genau zu beschreiben. Nur mit der Vorstellungskraft ist das so eine Sache.
Natürlich kannst du mit ihrer Hilfe eine Figur in deiner Geschichte einführen, etwa so:
Die Tür ging auf, ein böser, frustrierter Mann stürmte in den Raum und sagte: „Hallo, ich bin Ronald.“
Hier wird behauptet, dass es sich bei Ronald um einen bösen, frustrierten Mann handelt. Doch wirklich vorstellen, was Ronald für einer ist, kann man sich damit noch nicht.
Die Alternative besteht darin, Ronalds Charakter in dessen Handeln sichtbar werden zu lassen. Etwa so:
Die Tür flog auf, ein Mann stürmte herein und raunzte: „Falls es irgendwen interessiert: Ich bin Ronald!“
Hier sollte Ronalds Auftritt vor den Augen des Lesers bedeutend besser erfahrbar werden. Ronalds Tonfall verdeutlicht dessen Boshaftigkeit und seine Art sich vorzustellen die Frustration.
Anstatt mit Adjektiven wie mit Zaunpfählen zu winken, lassen wir so im Kopf des Lesers Bilder entstehen. Anstatt dem Leser vorzuschreiben, was er über die Figuren zu denken hat, werden sie lebendig.
2. Vermeide Umgangssprache!
Wir sprechen häufig so wie uns der Schnabel gewachsen ist. Wenn du einmal ein Alltagsgespräch aufnimmst und es dir später anhörst, wirst du erstaunt feststellen, wie sehr sich die Sprache von der Schriftsprache unterscheidet.
Für Deutschlehrer ist es häufig eine große Herausforderung, die Schüler für den Unterschied zwischen gesprochenem und geschriebenem Deutsch zu sensibilisieren. Doch nur so kann es gelingen, eine hochsprachliche Ausdrucksweise zu beherrschen. Und dies ist schließlich eine wichtige Voraussetzung für die gesellschaftliche Teilhabe, sei es in Schule, Hochschule oder im Beruf. Umgangssprachliche Ausdrücke sind hier tabu, während eine hochsprachliche Formulierung als eine Art Türöffner fungiert, um ernst genommen zu werden. Neben Ausdrucksweise und Stil bezieht sich dies selbstversätndlich auch auf grammatikalische Korrektheit und die Vollständigkeit von Satzstrukturen.
Bei dieser hohen Bedeutung, die der Schriftsprache im Deutschunterricht zukommt, verwundert es nicht, wenn diese Haltung ein Leben lang nachwirkt. Neben den genannten positiven Aspekten ist dies jedoch auch mit Gefahren für dein literarisches Schaffen verbunden.
Der Schreibfluss, bei dem unsere Gedanken direkt vom Kopf aufs Papier fließen, kann duch das Bemühen um sprachliche Korrektheit gestört sein. Des Weiteren eignen wir uns als Schriftsprache häufig einen neutralen, abstrakten Stil an, der für literarische Texte meist wenig geeignet ist.
Am deutlichsten wird dies bei Dialogen. Hier wird dein Text dann am lebendigsten, wenn die Figur so spricht, wie es zu ihrem Charakter und ihrer Herkunft passt. Und das ist häufig nicht sprachlich korrekt.
Die Erzählweise eines Textes sollte in erster Linie dem Erzähler entsprechen. Es geht darum, eine charakteristische Schreibstimme zu etablieren, statt allgemeingültigen Normen zu folgen.
Natürlich ist es hilfreich und wichtig, einen hochsprachlichen Schreibstil zu beherrschen. Doch dieser sollte nicht deine einzige Möglichkeit sein, über die du beim Schreiben verfügst. Vielmehr benötigst du für das literarische Schreiben eine große Bandbreite an Stilen und die Fähigkeit, je nach Bedarf zwischen ihnen zu wechseln.
3. Jeder Text braucht eine Struktur aus Einleitung, Hauptteil und Schluss!
Egal, ob es im Deutschunterricht darum ging, eine Erörterung, eine Gedichtanalyse oder eine Charakterisierung zu schreiben. Die Grundstruktur war immer die gleiche. Ja, sogar bei freieren Textsorten wir dem Essay wurde es als wichtig angesehen, die Ausführungen immerzu in Einleitung, Hauptteil und Schluss zu gliedern.
So hat sich diese Struktur vielen eingeprägt und es fällt ihnen schwer, sich davon zu befreien.
Dabei ist es für das literarische Schreiben wichtig, die Vielzahl an Möglichkeiten zu sehen, die es gibt, um eine Geschichte aufzubauen.
Du reißt den Leser meist mehr mit, indem du ihn direkt in die Handlung hineinwirfst, anstatt einleitend alle möglichen Hintergründe zu erläutern. Doch für jede Geschichte gibt es eine ganz eigene Struktur, mit der sie sich am besten erzählen lässt.
Literarisches Schreiben bedeutet auch, sich jeweils von Neuem auf die Suche nach der geeigneten Form einzulassen, statt nach vorgegebenen Mustern zu verfahren.
4. Du brauchst eine gute Erklärung für deine Geschichte!
In den letzten Jahren hat das kreative Schreiben auch im Deutschunterricht Einzug gehalten. Es ist längst nicht mehr so, dass Geschichten hier nur konsumiert oder analysiert werden. Kreatives Schreiben wird als Methode der Texterschließung genutzt, die Schüler verfassen alternative Enden oder Anfänge, Parallelgeschichten oder modene Adaptionen zu bestehenden literarischen Texten.
Doch auch das Schreiben eigenständiger Texte wird im Deutschunterricht praktiziert. Besonders beliebt sind hier Gedichte, Kurzgeschichten, Erlebnisberichte und journalistische Textformen. So schafft es das kreative Schreiben bereits seit Jahren in Klassenarbeiten und Klausuren bis hin zum Abitur.
Meist jedoch wird das Schreiben eines literarischen Textes in der Schule mit der Analyse eines bereits bestehenden Textes kombiniert. Die am Text nachgewiesenen Eigenschaften sollen in das eigene Schreiben aufgenommen und darin weitergeführt werden. Im Anschluss gilt es dann, die dabei getroffenen Entscheidungen zu begründen und zu erläutern. Dies soll für mehr Transparenz und Gerechtigkeit bei der Bewertung sorgen und das literarische Schreiben vor dem Vorwurf der Beliebigkeit bewahren.
So hilfreich dieser Schritt ist, um das eigene Schaffen zu reflektieren, so hemmend kann dies für die Schreibpraxis sein. Wenn sich eins zu eins übersetzen ließe, welche Stimmung, welche Überlegung oder welcher Konflitk mit welchen literaischen Mitteln umgesetzt werden kann, stellt sich die Frage, wozu man den literarischen Text dann überhaupt noch schreiben sollte.
Das literarische Schreiben eröffnet Ausdrucksformen, die uns in Sachtexten und in der Analyse nicht gegeben sind. Indem wir jedoch den Anspruch erheben, ganz genau sagen zu können, weshalb wir unseren Text genau so geschrieben haben und nicht anders, werden wir zu Literaturwissenschaftlern unserer eigenen Geschichten.
Ein solch analytischer Blick kann in Überarbeitungsphasen hilfreich sein, um die eigenen Texte voranzubringen. Er kann jedoch auch zu dem verfehlten Anspruch führen, das eigene Schaffen bis ins kleinste Detail verstehen und durchdringen zu wollen. Dann beraubt er uns einer der schönsten Möglichkeiten, die das Schreiben für uns bereit hält: Medium unseres künstlerischen Ausdrucks zu sein.
Es gibt viele Arten zu schreiben
Die vier Beispiele zeigen, welche Gefahren in den alten Glaubenssätzen aus dem Deutschunterricht liegen. Sie machen aber auch deutlich, wie vielschichtig und unterschiedlich der Anspruch an unser Schreiben sein kann.
Dabei ist die entscheidende Frage nicht, ob ein Schreibtipp richtig oder falch ist, sondern ob er dich in deiner Entwicklung weiterbringt oder nicht.
Ähnlich wir bei den Beispielen aus dem Deutschunterricht ist es auch mit vielen anderen Ratschlägen, denen du auf deinem Schreibweg begegnest. Versuche das Ziel zu verstehen, das mit ihnen verfolgt wird, und integriere die Einsichten in dein eigenes Schreiben. Nimm sie auf, lass dich jedoch nicht von ihnen bestimmen.
Andreas Schuster bloggt über kreatives Schreiben und ist selbst Deutschlehrer. In seinem kostenlosen E-Book teilt er die besten Schreibtipps erfolgreicher Autoren mit dir. Hier geht’s zu seiner Homepage (LINK).