Zurückgeblickt: Die 41. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt

Zurückgeblickt: Die 41. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt

Bachmannpreis – Klagenfurt: Literaten erstarrten einst in Ehrfurcht, wenn von einem Preisträger des renommierten Gipfeltreffens neuerer deutschsprachiger Literatur die Rede war.

Der Preis wird jährlich in Gedenken an die bedeutende österreichische Schriftstellerin Ingeborg Bachmann verliehen und gilt als eine der wichtigsten literarischen Auszeichnungen im deutschsprachigen Raum. 14 AutorInnen werden von den 7 Jurymitgliedern vorgeschlagen und lesen nach Losverfahren über drei Tage verteilt ihre Exzerpte vor Publikum und Jury, die hiernach diskutiert werden. Die mehrtägige Veranstaltung ist für jedermann offen, der das Spektakel aus der Nähe erleben möchte.  Parallel dazu übertragen die Sender ORF und 3Sat alle Lesungen und Diskussionen im Live-Stream. Die Videos sind hiernach dauerhaft über die Website des Ingeborg-Bachmann-Preises abrufbar.

Das Studio im ORF-Theater in Klagenfurt – Austragungsort des Wettbewerbs um den Ingeborg-Bachmann-Preis

Die Mission

Den Auftakt der 41. Tage der deutschsprachigen Literatur bildete heuer die Rede zur Literatur mit dem malerischen Titel Seelenfutter des österreichischen Zynikers Franzobel, der proklamierte: „Literatur ist Kampf! Kampf für Unterdrückte, für unangenehme Wahrheiten, unkonventionelles Denken, neue Formen, das Unmögliche.“
Angesichts des nachfolgend Gebotenen ein fast utopisch anmutendes Bild der Gegenwartsliteratur.

Warum Literatur?


„Tatsache ist, die Welt wartet nicht auf neue Texte.“ *

So schaut es aus – grundsätzlich, und das sollte man sich als Autor immer vor Augen halten: Der „Markt“, also die Historie ist übersättigt, jeder Gedanke einmal dagewesen; hier einen neuartigen „Twist and Turn“ zu landen, ist mehr oder minder dem Zufall anheimgegeben – ob inhaltlich, sprachlich, emotional.
Der Stellenwert der Literatur im allgemeinen Bewusstsein ohnehin ein Nischenornament, gebührt ihr doch zumindest die Aufgabe, Zeitgeist zu reflektieren: 
„Es wird immer eine Sehnsucht nach Geschichten geben, nach Versuchen, das Leben zu bewältigen, zu bereichern und den Tod zu begreifen. Literatur speichert Erfahrungen und Empfindungen schneller als die Gene. Sie darf Dinge anders sehen, aussprechen, neu bewerten, Utopien entwerfen, unvernünftig und verrückt sein. […] Literatur hat die Verantwortung, sich für Unterdrückte einzusetzen, auch für unterdrückte Wahrheiten. Und sie hat die Verantwortung, sich einzulassen auf die Welt. Damit meine ich […] eine Beseelung. Seelenfutter. Eine Geselligkeit mit Lust und Witz, Poesie und Intellekt.“ *

Das Bachmannsingen 2017

So viel zu den hehren Ansprüchen. 
Wer das Bachmannsingen – so liebevoll spöttisch in Branchenkreisen genannt – in den letzten Jahren verfolgt hat, fragte sich so manches Mal, was hier eigentlich los ist. Sind diese Texte tatsächlich der Spiegel aktueller Hochkultur? Themen, Inhalte und sprachliche Ausführung der neue Standard, an dem es sich zu messen gilt? Ist die Kritikerbesprechung, der gelieferte Schlagabtausch zwischen den Juroren ein ernstzunehmendes Match? 
Ich bin hier in einer mehrfachen Zwitterposition: Als Leserin und Bibliophile, als Autorin, Lektorin und somit Akteurin des Betriebes literarischen Schreibens auf Abenteuersuche, Inspirationswalz und stets der Gesamtheit literarischen Schaffens verpflichtet. 
Daher vorweg – was ich mochte: 2017 gab es zwar auch die Themen Weltuntergang, Flüchtlingskrise und Klimawandel, jedoch in einer Umsetzung, die in fiktionaler Abstraktion weitergeführt wurde – Apokalypse wurde zum Topos ‘17, in unterschiedlicher Ausführung. Kaum „Befindlichkeitsliteratur“ oder Kindheitserinnerungen. Die meisten Texte mühten sich, vom rein Erzählerischen wegzukommen, in eine Kunstform zu finden, das Thema reflexiv anzugehen. „Detailverliebtheit“ ist vielleicht das neutrale Wort, welches in Summe am ehesten zutrifft – ob gelungen oder nicht, sei dahingestellt. 
So gingen gewohnheitsgemäß die Meinungen von Autoren, Lektoren, Verlegern, Kritikern und anderen Branchenprotagonisten zu den einzelnen Texten oft auseinander. Manch einer fühlte sich amüsiert durch das intellektuelle Pingpongspiel der ersten drei Preisträger, die anderen waren geradezu brüskiert über das minutiöse und manieristische Gedankenspiel. Für Jungautoren, insbesondere Genre-Schreiber und Selfpublisher wird diese Welt, die sich hier eröffnete, sehr fremd anmuten.

Die Preisträger 2017

Einhelligkeit bei Jury und Publikum über John Wrays Short Story: Ein sensibler, psychologisch fein nuancierter, dramaturgisch komprimierter Text über ein Geschwisterverhältnis. 
Nimmt es wunder, dass der Mann US-Amerikaner (mit Kärntner Wurzeln) ist und „drüben“ bereits vielfach erfolgreich publiziert hat? Stellt er nicht mit seinem flüssigen und leichtfüßigen Erzählstil alles Triefende, das der deutschsprachigen Literatur anhaftet, eben kurz in den Schatten? Wrays Text konnte somit naturgemäß auch nur den zweiten Platz ergattern – zu stark die einheimische Lobby, die Befremdung. So gab Juror Kastberger zu Bedenken, die Frage sei nicht, ob Wray und sein Text Klagenfurt brauchen, sondern ob Klagenfurt einen Autor wie Wray braucht. Damit ist alles gesagt. 
Der lokale Platzhirsch Ferdinand Schmalz belegte daher den ersten Platz mit einer makaber-ironischen, raffiniert verschachtelten Geschichte, voller sprachlicher Referenzen in bester österreichischer Tradition, mit unmissverständlich kommuniziertem Thema: der Tod als Eigenverantwortung im Spiegel gesellschaftlich-moralischer Degeneration. Ich habe ihm gerne gelauscht, fühlte mich gut unterhalten, die Stiche kamen an. Auch hier kein Wunder: Schmalz kommt vom Theater, was an seinem Text deutlich abzulesen ist.
Der dem popliterarischen Nirwana der 90er entstammende Eckhart Nickel mit seinem stilistisch gepflegten und intelligenten Text über eine kurios anmutende Öko-Verschwörung bediente alle Register bildungsbürgerlicher Welterfahrung und sorgte für amüsiertes Schmunzeln. Eine sehr deutsche Ausführung – wie im Nachgang bescheinigt wurde. 
Der vierte Preis ging an Gianna Molinari, die einen sauberen reportageartigen Text servierte, in dem sie in persönlicher Überlegung das Flüchtlingsdrama anhand einer außergewöhnlichen Begebenheit aus dem Jahre 2012 reflektiert – schön aufgebaut, aber ohne ein Gedankengut, das damals nicht bereits die Medien beschäftigte.

Fazit vorweg

Insgesamt gab es keine Überraschungen. Auch die Siegertexte waren vornehmlich „handwerklich korrekt“ ausgeführt, traditionsgeladen allesamt, teils der Versuch, damit zu spielen, doch keinesfalls zu brechen. Bei alledem: kein Mut, kein Wagnis, viel Konstruktion. Ab und an ein Zwerchfellzucker, ein Gänsehäutchenschauer, der einen für eine kurze Weile wieder mit der Welt versöhnte.
In Summe mangelte es an inspirativen Momenten, dem großen oder auch nur kleinen Aha, einer Freude, die einen durch Text und Gedanken trägt, schlichtweg Poesie. 
Was die Preisträger auszeichnete, war in erster Linie die Perfektion der Ausführung: Kaum ein Fehler in Aufbau, Dramaturgie, sprachlicher Ausformung, literarischen Bezügen. Durchdachte Plots und Figuren, mehr oder minder subtile Anleihen. In allem die Message deutlich lesbar. Ein Fest, von der Jury einmütig ausgerichtet. Allein, was fehlte: Seelenfutter.
Der Rest – weit abgeschlagen. So deutlich, dass sich sämtliche Kolleginnen und Kollegen nicht nur der Presse fragten, was eigentlich die Aufgabe der #tddl17 sei. Neues zu entdecken, Impulse zu setzen? Sicher nicht, „handwerklich unfertige“ Texte einzuspielen, bei denen man sich manches Mal fragte, ob ein Lektor nicht eine sinnvolle Investition gewesen wäre; angesichts des einzureichenden Textumfangs sollte man meinen, eine in sich konsistente Geschichte wäre eine adäquate Herausforderung. Kam eine bemerkenswerte Idee daher, zerfiel sie großteils Minuten später und zerstäubte über unlogischer Gedankenführung. 
Von sprachlicher Diversität zu sprechen, fällt hier ebenfalls schwer, so ordentlich, so einfach, so brav journalistisch war das Spektrum, in dem die meisten Texte sich bewegten, ein bisschen Pop, ein paar Ellipsen, wenige schöne Rhythmen – doch ein Aufhorchen wollte sich kaum einstellen. 
Wer sich kurz einen Überblick über die Lesungen und Tendenzen verschaffen möchte, gehe auf die Besprechungen der einzelnen Lesetage: Tag 1 – Tag 2 – Tag 3
Wer nachlesen und hören will, kann dies auf der Website tun – hier finden sich zu jedem Autor Porträt, Lesung und Jurydiskussion als Video sowie in Textform. 

Die Jury – das Gemetzel 

Es wurden Texte abgestraft, die entweder (angeblich) zu wenig aufgeladen waren oder überbordend „adjektivistisch“ daherkamen – kein erkennbares Muster, keine Verlässlichkeit in der Aussage. Es wurden Texte hochgelobt, die das boten, was man von einem soliden Text aus geschulter Manufaktur erwarten dürfte. 
Die Funktion der Jury ist schnell zu erklären. Wer sich hier wundert über die teils grotesk anmutenden Spitzfindigkeiten und auf der anderen Seite jovialen Beteuerungen der Platzhirsche, dem sei gesagt: Ein derartiges Juryensemble ist in sich konsistent. Wo der eine aushakt, klinkt sich der andere ein, alle Positionen werden abgefrühstückt, keiner lehnt sich vollends aus dem Fenster, steht doch jeder einzelne der Juroren selbst hier auf dem Prüfstand. Je nach eigenem Naturell äußern sich die Damen und Herren daher in persönlicher Gefühligkeit, selten eine distanzierte, nüchterne Analyse, die den Gesamtbau im Blick hat. Sie verhaspeln sich in Referenzforschung, suchen teils händeringend nach dem eigenen Standpunkt – wenn alles gesagt ist, wird die vom Sender vorgegebene Zeit durch kleinteilige Verstrickungen und „hermeneutisches Gewichtheben“ aufgefüllt. 
Außengelände des ORF-Theaters – bei durchschnittlich 35° C
schwitzten die Gäste mit den Teilnehmern um die Wette.
Was ist das für ein Vorbildcharakter, der hier Jungautoren diffus und unstimmig geboten wird? Ein Gaukelspiel, das einen allenfalls mit noch größerer Orientierungslosigkeit zurücklässt.
Die eitlen Debatten der Jury spielen hier eine wesentliche Rolle: Kaum eine Meinung, von der man nicht den Eindruck gewinnt, sie entspräche einer profilneurotischen Absicht.

Literaturkritik – ein Abgesang 

Hier sind wir wieder bei der mühseligen Debatte zur Literaturkritik. Meiner Meinung nach ist eine blühende Literaturlandschaft nur denkbar, wenn Dialog und Diskurs ein gewisses Niveau halten, kontrovers und ohne Berührungsängste vonstattengehen, wenn man sich aufeinander einlässt. Nicht, dass dadurch das Schaffen sich verändert, doch aber das offizielle Bewusstsein.
Die in den letzten Jahren geführten Minidebatten, die kurz aufflammten und sogleich erschöpft wieder erstickten, sind ein Spiegel der Gleichgültigkeit unserer Gesellschaft gegenüber dem Stellenwert von Kunst und Kultur. Ein Austausch in Kaffeehäusern als Kernzelle und Treffpunkt der intellektuellen Avantgarde mag in vorigen Jahrhunderten funktioniert haben. Wo geht man heute hin, wenn man Vorbilder sucht, Orientierung wünscht, sich einhören möchte in Stimmungen und Strömungen, lernen will?
Die Eitelkeit der Branche spiegelt sich hier aufs Schönste in Autorentexten und Juryreaktion – ohne Ausnahme. Alles nichts Neues – wer das Lesen bei den deutschsprachigen Tagen der Literatur jährlich mitverfolgt, weiß Bescheid und wundert sich nicht mehr. Für junge Autoren, die damit zum ersten Mal in Berührung kommen, mag dies eine Schockwirkung entfalten. 

Warum also Klagenfurt? 

Eine jedes Jahr aufs Neue berechtigte Frage, denn es scheint kurios, dass hier die angeblich besten Texte aus hunderten von Einsendungen präsentiert werden. Ist unsere Literaturlandschaft so arm an Ideen, an sprachlicher Divergenz? Immerhin umfasst sie Deutschland, Österreich und die Schweiz! 
Der Buchmarkt und der ewige Kampf zwischen Verlagswelt und Autorenschaft ist das eine, die kreative Landschaft einer literarischen Generation das andere. Preise sollten dazu anreizen, nicht gewohnt Gefälliges zu honorieren, sondern auf Spurensuche zu gehen. Immerhin reden wir hier von insgesamt 62.500 Euro Preisgeld!
Bezeichnend ist, dass nach der Pflichtbesprechung in den Feuilletons am Montag danach keine weitere Diskussion stattfindet. Veranstaltung vorbei, Notwendiges absolviert, weiter geht’s im Betrieb. 
Dennoch kann ich es nur empfehlen, sich das Spektakel einmal anzutun – nicht vor Ort, denn der Weg dorthin und der Wahnsinn drumherum sind recht ermüdend. Doch die Teilnahme via Monitor, am besten im Kreise anderer literarisch Interessierter, ist eine feine Möglichkeit, das eigene literarische Tun und Denken zu überprüfen.  

Schlusswort

Kunst hat die Aufgabe, zu zerstören und zu erschaffen, Weltenbau zu betreiben und Grenzen zu sprengen, Abgründe auszuloten und Seelen zu retten. Kunst darf und kann und muss extrem sein, um über sich selbst hinauszuwachsen. Alles andere ist Vorglühen, Skizze und Fingerübung. 
Ich will nur hoffen, dass unter den zeitgenössischen Autorinnen und Autoren, die täglich mit sich und ihrer Kunst ringen, doch die/der eine oder andere imstande ist, wahrhaftig Seelenfutter zu kreieren.
* Alle markierten Zitate entstammen Franzobels Rede zur Literatur

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