Kolumne | Die rosarote Brille

Kolumne | Die rosarote Brille



„Hey, wie läuft’s mit deinem Roman? Wie geht es deiner Protagonistin? Ist sie schon tot?“
Meine beste Freundin grinst mich an und versucht noch im selben Augenblick ihre freundschaftliche Schadenfreude hinter dem Kaffeebecher in ihrer Hand zu verstecken. Ich schnaube ärgerlich und grummel etwas in meinen nicht vorhandenen Bart.
Sie setzt die Tasse wieder ab und sieht mich verständnislos an. „Was?“
„Hab’s neu aufgesetzt“, brumme ich widerwillig und verziehe das Gesicht. „Da hat zu viel am Plot nicht gestimmt.“


Meine beste Freundin wäre nicht meine beste Freundin, wenn sie an dieser Stelle meiner kleinen Eingangsanekdote nicht ohnehin schon gewusst hätte, dass mein Schritt, meine Trilogie zurück auf fast null zu setzen, eigentlich absehbar war. Ich habe schon seit einem halben Jahr mit ein paar Handlungssträngen und Klischees gehadert und sie war mehr als einmal Zuhörerin und Leserin meines Gejammers. Ein wenig habe ich wahrscheinlich einfach den Absprung verpasst, die Rohfassung des Manuskripts einmal runterzuschreiben und erst danach meiner inneren Überperfektionistin freie Hand zu lassen, damit sie laut schreiend alles schlecht reden kann, was ich bisher produziert habe.

Sucht man als frisch gebackener Autor seines ersten Manuskripts nach Tipps und Tricks für einen vernünftigen Roman, dann beginnt man viel zu lernen. Über Methoden zu plotten, Erzählschemata und Plotstrukturen, über Figurengestaltung und Faustregeln wie „Show, don’t tell“. Darüber, was Normseiten sind und darüber, welche Schreibsoftware für welche Ansprüche am besten geeignet ist.
Was man nicht lernt oder was zumindest ich erst auf die lange und harte Tour beim Schreiben gelernt habe, ist etwas anderes, das sich auch schlecht in eine klare Regel pressen lässt. Der Spruch „Write drunk, edit sober“ geht ein wenig in die Richtung dessen, was ich meine, erfasst es aber auch nicht ganz: Es ist eher so, dass ein neues Manuskript wie eine neue Liebe ist.

Am Anfang ist man noch ganz verzückt über die eigenen Ideen und Figuren, beginnt voller Elan mit dem Plotten oder evtl. auch schon mit dem eigentlichen Schreiben, gefiltert durch die rosarote Herzchenbrille scheint jedes Wort wie ein Geschenk des Himmels. Von der Muse geküsst ist man eine Weile frisch verliebt und erstmal noch im Verhältnis ziemlich unkritisch. Die Protagonistin steckt in einer kompletten Abhängigkeitsbeziehung zu ihrem Lover? Puuuh, wen kratzt das schon? Der beste Freund des Helden hätte diesen Schuss in den Kopf unmöglich überleben können? Ach was, der ist super, das geht schon!
Ich mag diese Phase der ersten Verliebtheit. Sie ist einfach und unbeschwert, der perfekte Zeitraum, um ein Manuskript so weit wie möglich zu bringen, denn in dieser Phase liegt meine innere Kritikerin meistens noch gefesselt und geknebelt in einer Ecke und hat eins mit einer rosaroten Keule übergezogen bekommen. Diese Phase fühlt sich unsagbar gut an, weil da die Kapitel noch wie von selbst zu Papier gehen. Ich kann mich einfach treiben lassen, lege kein Wort auf die Goldwaage und schreibe im Grunde noch sehr unschuldig.
Warum auch nicht? Die Korrekturen kommen ja später dran.

Nur natürlich liegt meine Kritikerin nicht ewig bewusstlos in der Ecke, sondern kommt nach einer Weile wieder zu sich. Und dann ist sie fuchsteufelswild, fegt mir die rosarote Brille von der Nase und meine erste Verliebtheit in das Manuskript verfliegt. Dann wird es ernst und ich beginne mit mir selbst und meinem Manuskript zu hadern.
Das ist grundsätzlich gut, denn so beseitige ich auch Plotlöcher, unlogische Handlungsstränge und problematische Konstellationen und Konzepte, aber wenn ich beim Erwachen meiner Kritikerin noch nicht mit der Rohfassung fertig bin, dann kann das gefährlich werden. Dann korrigiere und krittle ich an Dingen herum, die ich eigentlich hinten anstellen müsste, um die Basis meines Textes erst einmal fertig zu bekommen. Um ein vorläufiges „Ende“ unter das Manuskript schreiben zu können.
Stattdessen werfe ich Handlungsstränge über den Haufen, lande wieder fast bei null, schreibe wieder und fange dann das Spielchen von vorne an. Zwei Schritte vor, einer zurück. So komme ich auch voran, aber es ist mühsam. Langwierig. Zehrt an den Nerven.

Manchmal wünsche ich mir deshalb, ich hätte die Zeit, einmal ein Manuskript in nur ein paar Tagen oder Wochen komplett runter zu schreiben. Gerade so lange, wie die rosarote Brille anhält, und dann an all die mühsamen Korrekturen zu gehen. (Ich finde deshalb übrigens auch die Idee des NaNos grundsätzlich sehr gut, in meinen Alltag passt sie leider nur begrenzt.)
Denn, um bei der Liebesmetaphorik zu bleiben, ein neues Manuskript ist zwar vielleicht wie eine neue Liebe, der Abschluss ist dann aber auch wie eine erleichternde Trennung.
Jedenfalls manchmal. 😉

3 Gedanken zu „Kolumne | Die rosarote Brille

  1. Ich kenn das. Ich schaffs zwar (oft Dank Nanowrimo) das Ding zu Ende zu schreiben, aber wenns dann ans Editieren geht…so viel Schokolade kann ich gar nicht essen um damit klar zu kommen, was ich da manchmal lese. Ich weiß dann als auch nicht, ob ich jetzt einfach aufgebe oder obs wirklich gut so ist, denn meine Kritikerin steht immer mit hochgezogener Augenbraue hinter mir, schaut über meine Schulter und macht Tss…vierl Erfolg beim weiter schreiben!

  2. Danke für dieses Coming Out. Bisher habe ich noch nirgendwo etwas darüber gelesen, dass Autoren auch scheitern können, obwohl sie doch das Handwerk beherrschen.
    Ich habe durch den NaNoWriMo gelernt, dass ich ca. zwei Wochen Zeit habe, bis mein innerer Kritiker wieder aufsteht. Oder wahlweise mein Teamchef einen Karibikurlaub für mich gebucht hat. "Geh du mal sonnenbaden, das Projekt läuft dir nicht davon." Spricht's und versteckt meine Motivation unauffindbar. Ich kann meinem Team also nicht einmal vertrauen.
    Zum Glück lassen die Mitarbeiter mich momentan in Ruhe. Jetzt, wo ich eine Geschichte schreibe, in die ich mich wirklich verliebt habe. Na gut, nicht in die Geschichte, sondern in den Love Interest. Aber immerhin, ich bin schon länger als zwei Wochen dran. Hoffnung! 🙂

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