Lebendige Städte: Von der Steilküste zur Stadtmauer

Lebendige Städte: Von der Steilküste zur Stadtmauer

Herzlich Willkommen liebe Weltenbastler zu einem weiteren Teil unseres Baukastens und es soll um Städte gehen. Ich möchte euch nicht zu Master-Städteplanern machen, sondern zeigen wie man ihnen wirksam Leben einhaucht. Städte. Sie faszinieren uns, sie sind Zentrum des Lebens. In Städten liegt die Macht und das Geld begraben – heute wie damals, nicht anders sieht es da in unseren Geschichten aus. In vielen fantastischen Romanen kommt keiner der Helden um sie herum, in Dystopien kann man nur sehr schwer auf sie verzichten. Im Grunde ist eine Stadt nichts anderes als eine Ansammlung von Häusern, Geschäften und Straßen. Nun sind wir, als Autoren an der Reihe dem Leser zu zeigen, dass in dieser Stadt mehr steckt als nur Stein und Holz, mehr als Beton und Kabel. 

Zur Einstimmung und um uns das Ziel vor Augen zuführen, das wir anstreben, habe ich eine Passage aus Jenny-Mai-Nuyens Roman Das Drachentor für euch:

Große Häuser lagen vor ihnen. Eine breite Straße, die von vielen Fackeln erhellt wurde, führte vom Tor aus in die Stadt. […] Revyn erspähte eine junge Frau, die am Fenster saß und las, und aus einem anderen Haus drang schallendes Gelächter. Aus der Ferne hallte Lärm, seltsam verzerrt von den hohen, dicht gedrängten Gebäuden. S.137 | Das Drachentor | Jenny-Mai Nuyen 

Zusammen mit Revyn betreten wir eine Stadt, die sowohl er und wir, als Leser, bisher noch nie gesehen haben. Und auf den ersten Blick ist es nur eine Ansammlung von Häusern. Als Autor lenkt man die Aufmerksamkeit seines Lesers vom großen Gesamtbild auf die kleinen Details: Eine lesende Frau, Gelächter, Lärm … Diese Stadt lebt. Der nächste Absatz macht es deutlich:

Sie bogen bloß um eine Straßenecke, doch Revyn kam es vor, als seien sie plötzlich in eine fremde Welt geraten: Farbige Laternen hingen über den Hauseingängen und beleuchteten Frauen mit roten Lippen, die laut und derb miteinander scherzten. […] Überall zischte, dampfte und brutzelte es, denn in jeder Gasse, jeder Hausöffnung, jedem Kellerloch befand sich eine Garküche. S.137 | Das Drachentor | Jenny-Mai Nuyen 

 Anscheinend sind wir mitten im Vergnügungsviertel gelandet. Die ruhigen Ecken wären auch nicht unser erster Anlaufpunkt, wenn wir eine Stadt erkunden wollen, wissen wollen wie die Menschen sind, wie sie leben und denken. Lenken wir unseren Blick auf die kleinen Details. Nur woher nehmen wir die ganzen Kleinigkeiten, die irgendeine Stadt am Meer zu meiner Stadt machen?

Die Antwort ist zugleich einfach als auch komplex. Einfach, da Kultur seit jeher Menschen unterscheidet und Menschen letztendlich ihre Umgebung erschaffen und formen. Komplex, da diese Kultur auch von seinem Umfeld und anderen Völkern sowie Kulturen beeinflusst wird. Ich verlinke euch an dieser Stelle meinen Artikel, in dem es um die Faktoren ging, die eine Kultur beeinflussen.

Frage 1: In welcher Landschaft liegt meine Stadt?

Wüste oder Wald, Fluss oder Meer, Berge oder Ebene, Norden oder Süden? Die Lage einer Stadt beeinflusst maßgeblich, das Leben in einer Stadt, von Kleidung über das Essen bis zu den Materialien, aus denen die Gebäude errichtet wurden. Diese Dinge sind unsere Grundlagen, auf die wir aufbauen können. Unterbewusst nehmen Sie Einfluss auf die Handlung.

Einfaches Beispiel: In einer Hafenstadt ist der Fischmarkt von Menschen überflutet. Fisch ist im Überfluss verfügbar. Fisch ist billig. Das Essen der einfachen Bürger und der Armen. Während sich der Kaufmann fünf Straßen weiter einen Rehrücken zum Mittag verspeist. Er hat das Geld sich das teure Fleisch zu kaufen, das aus den weiter entfernten Wäldern importiert werden muss. Bei einem Treffen mit einem Mittelsmann wird es wohl eher Fischsuppe geben als Wildschweinbraten. Ein unbedeutendes Detail, aber es macht die ganze Handlung greifbarer, wenn der Leser in einer fantastischen Welt mit realen Dingen in Berührung kommt, die er kennt.

Frage 2: Welche Funktion hat meine Stadt?

oder warum ist mein Protagonist überhaupt in die Stadt gekommen? Steht er mit einer Armee vor den Toren der Stadt, um seinen Erzfeind im finalen Kampf zu besiegen oder ist sie nur eine Zwischenstation auf der langen Reise? Je nachdem welche Rolle deine Stadt in der Geschichte spielt, verändert sich der Fokus deines Protagonisten.

Einfaches Beispiel: Wenn euer Held als Spion eingesetzt wird, sind Waffen, Geheimnisse und Verteidigungsanlagen wichtiger als die Garküchen, die es zuhauf in den kleinen Gassen gibt – es sei denn sein Magen knurrt. Ist die Figur in der Stadt, um einen Handel abzuschließen, wird der Marktplatz interessanter sein und das Verhalten der Kaufmänner. Genauso wird der Waisenjunge, der sich sein Abendessen besorgt, eher ein Auge auf die Wachen und Händler haben wird, als auf die schönen Seidenstoffe am Stand nebenan.

Fazit: Die kleinen Details, die auf den ersten Blick nicht auffallen mögen, machen eine Stadt lebendig und die wir nun gern weiter erkunden möchten. Aber bitte: In Maßen, nicht in Massen! Im Fokus steht immer noch unser Held und seine Geschichte. Beschreibungen und ihre kleinen Details sollen eine ferne, nicht existente Welt nur greifbar und erlebbar machen. Bei dem Aussehen eurer Stadt und ihrer Bewohner gelten wie immer die Grenzen der Fantasie, und die sind bekanntlich unendlich.

Eine Aufgabe zum Mitnehmen: Wann immer ihr ein Buch lest oder einen Film schaut, indem die Protagonisten eine Stadt besuchen, nehmt euch ein Zettelchen und notiert euch, was für Details den Figuren ins Auge gesprungen sind. Wenn ihr selbst in einer Stadt unterwegs seit, vielleicht sogar im Urlaub, macht euch Notizen oder wer gerne fotografiert, kann diese Momente festhalten. So legt ihr euch einen stetigen Katalog an Stadtleben zu, und so kann man bei Gelegenheit, eine Beschreibung mit einer derb scherzenden Frau mit roten Lippen auflockern.

Zum Schluss kommt eine Link-Empfehlung: How to design a town von Jonathan Roberts, einem äußerst talentiertem Zeichner mit Fable für Game of Thrones. In seinem Artikel verbindet er Stadtplanung mit Kartographie. 

Ich hoffe, ihr konntet etwas aus diesem Artikel mitnehmen 
und wünsche euch weiterhin viel Spaß beim Schreiben und Weltenbasteln! 

Weitere Teile der Weltenbau-Reihe:
Weltenbau Special: Fragenkatalog Part I
Teil 5: Politische Systeme I – Voraussetzungen
Zwischenspiel: Die Welt zeigen im Wandermodus
Teil 6: Politische Systeme II – Auswirkungen
Teil 7: Lebendige Städte: Von der Steilküste zur Stadtmauer
Teil 8: Landmarken & Grenzen
Teil 9: Drachen, Königskraut und Molchsauge
Weltenbau Special: Fragenkatalog Part II

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