Wie die Wissenschaft bei der Charakterbildung helfen kann: Die Trait-State-Theorie

Wie die Wissenschaft bei der Charakterbildung helfen kann: Die Trait-State-Theorie

Ihr schreibt eine Szene und plötzlich verhält sich Eure Figur untypisch: Der Mutige läuft ängstlich davon; die Ruhige wird laut und die Harmoniebedürftige sehnt sich nach einem Kampf. Was ist passiert?

Zunächst gilt es die Szene zu analysieren: Handle wirklich die Figur oder hat der Autor ein wenig zu viel mitgemischt? Der Charakter eines anderen Buches/Filmes oder die Persönlichkeit des Autors können die Szene beeinflusst haben. Daher sollte man sich zunächst die Frage stellen, ob in der geschriebenen Passage tatsächlich die eigene Figur die Hauptrolle spielte oder jemand anders. Bei Letztgenannten sollte die Szene dementsprechend überarbeitet werden.

Kommt ihr aber zu dem Entschluss, dass keine äußeren Einflüsse bei der Entstehung der Szene mitgewirkt haben, könnte es an state-bedingten Gegebenheiten liegen. Die Trait-State-Theorie geht davon aus, dass das Handeln durch bestimmte Situationen beeinflusst werden kann. Das folgende Beispiel soll dies verdeutlichen:

Eure Figur hat die feste Eigenschaft (=trait) schüchtern zu  sein. Plötzlich zeigt sie sich aber als mutig und steht im Mittelpunkt. Warum? Weil es die Situation verlangt. Die neuen Eigenschaften (=states) sind somit situationsbedingt zustande gekommen. Diese Veränderung ist zeitlich unstabil. Es kommt in der Regel nicht zu einer Charakteranpassung. Der schönste Beweggrund/Auslöser ist die Liebe: Um seine Liebsten zu schützen, muss man mutig sein und kämpfen. Solche Veränderungen machen die Geschichte interessant. Dieses Stilmittel sollte aber nur bei Höhepunktszenen angewandt werden, da die Figur ansonsten an Glaubwürdigkeit verliert.

Habt ihr die Szene dahingehend geprüft und den state-bedingten Auslöser gefunden, kann das Geschriebene stehen bleiben. Wenn es keinen erheblichen Grund für eine zeitlich bedingte Charakterveränderung gibt, müsst ihr den Part abändern.

Ein Buch zu schreiben, ist harte Arbeit. Wie Dan Brown bei einer Lesung mal sagte: Auf eine geschriebene Seite kommen etwa zehn Entwürfe, die im Müll landen.

Scheut euch also nicht davor, zu kürzen, zu löschen und zu verändern.

2 Gedanken zu „Wie die Wissenschaft bei der Charakterbildung helfen kann: Die Trait-State-Theorie

  1. Guter Beitrag! Genau vor so einem Problem stand ich neulich. Ich habe dann versucht, mir das über soziale Rollen zu erklären, die ja auch situationsbedingt sind. Aber das Rollen-Modell hat ja eigentlich nichts mit fiktionalen Figuren zu tun. Die Trait-State-Theorie wirkt da viel sinnvoller. Danke 😀

Schreibe einen Kommentar zu artificus Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert